Achtzig Meter – Mächtig Druck in großer Höhe (Kurzgeschichte)

Achtzig Meter
Mächtig Druck in großer Höhe

Von Rebecca Valentin

Kurzgeschichte, erschienen am 20.08.2020

VG Wort

Free-Fall-Tower mit Fahrgästen von unten.

 

Was bin ich nur für ein dämlicher Idiot. Hätte ich mich doch nur nicht überreden lassen, hier einzusteigen, bereute Christopher es inständig, den Kumpels dermaßen leichtfertig seine Zustimmung gegeben zu haben. Die beiden hatten darauf gebrannt, mit ihm zusammen den spektakulären Freifallturm auszuprobieren, der auf der diesjährigen Kirmes die neueste Attraktion darstellte. Bereits von weitem und aus nahezu jedem Winkel der Stadt war der Freefall-Tower zu erkennen, der mit seiner beeindruckenden Höhe sogar den stattlichen Kirchturm überragte.

Für seine Freunde war es keine Frage gewesen, ob sie an jenem sonnigen Nachmittag eine Fahrt wagen wollten, ganz im Gegensatz zu Christopher, dessen Bedenken allerdings nicht von Höhenangst geprägt waren, sondern vielmehr von den eindeutigen Signalen seiner randvollen Blase. Diese verlangte danach, schnellstmöglich geleert zu werden. Dass er sich dennoch hatte bequatschen lassen, war ein gewaltiger Fehler, wie er spätestens jetzt feststellte, als er mit dem gänzlich unwillkommenen Gefühl, dringend pinkeln zu müssen, achtzig Meter über dem Boden hing, und die Fahrgastgondel sich absolut nicht nach unten bewegen wollte.

 

Das anfängliche Gejohle und die begeisterte Freude rings um ihn herum, wandelte sich allmählich in Besorgnis. Die ersten Fragen kamen auf, was der Grund dafür sein könnte, dass sie nicht längst im freien Fall in die Tiefe gestürzt waren und stattdessen noch immer dort oben festsaßen.

»Ach Quatsch, gleich gehts bestimmt runter, genießt lieber die Aussicht«, hörte Christopher seinen Kumpel Alex links neben sich rufen, der seit jeher ein unverbesserlicher Optimist war. Wahrscheinlich hatte er recht und der Betreiber des Fahrgeschäftes wollte ihnen nur ein wenig länger den fantastischen Blick über die gesamte Stadt und einen beträchtlichen Teil des Umlands gönnen, doch was nützte ihm jenes wohlwollende Ansinnen? Er musste heftig pinkeln, verspürte mächtig Druck in so großer Höhe, dass ihm buchstäblich schwindlig wurde.

 

Mit den Fingerspitzen der rechten Hand schaffte er es, unter den gepolsterten, straff sitzenden Haltebügel zu gelangen, der bis zu seinem Schoß herunter reichte und dort beinahe auf der mittig herausgeformten Erhöhung der vorderen Sitzkante auflag. Es war eng und außerordentlich schwierig, doch mit ein wenig Geschicklichkeit manövrierte er die Finger zu seinem Schritt, wo er sie kraftvoll in die Ausbeulung der Jeans hineindrückte, um den starken Drang durch jene Maßnahme abzuschwächen und zum Nachlassen zu bewegen.

Für einen winzigen Moment brachte es die gewünschte Erleichterung, doch kaum, dass er die Fingerspitzen wieder fortnahm, kehrte auch der massive Druck seiner Blase zurück. Was soll ich nur tun, fragte er sich mit wachsender Anspannung, während er in seinem Sitzplatz der Gondel gefangen und damit so gut wie handlungsunfähig war.

 

Für Christophers zögerliche Zustimmung, an der Fahrt überhaupt teilzunehmen, hatte es lediglich ein geringes Maß an Überzeugungskunst seitens der Freunde bedurft. Da es ihm peinlich gewesen und deshalb extrem uncool erschienen war, den beiden zu erzählen, wie dringend er zu diesem Zeitpunkt schon zur Toilette gemusst hatte, war ihm kein plausibler Grund eingefallen, sich aus der spaßbringenden Unternehmung auszuklinken. Da er auch ansonsten in jedes noch so wilde Fahrgeschäft einstieg, hätten sie für seine Weigerung ohnehin kein Argument gelten lassen. So waren sie über sein Zögern kurz verwundert gewesen, hatten es jedoch leichtfertig fortgewischt, indem sie dem Kassenhäuschen bereits fröhlich entgegengestrebt waren.

 

Die Sekunden des Wartens wandelten sich zu Minuten. Je weiter die Zeit voranschritt und sich noch immer nichts tat, was eine Weiterfahrt und damit den gewünschten freien Fall in die Tiefe andeutete, desto unruhiger wurden die Fahrgäste, welche ringförmig um den imposanten Turm herum angeordnet saßen.

Jene Anspannung erfasste auch Christopher und gesellte sich in unschöner Weise zu der Pinkelnot, die in rasantem Tempo zu einer echten Verzweiflung anwuchs, der er machtlos ausgeliefert war. Mit heftigem Blasendruck auf der Kirmes herumgelaufen zu sein und das Pinkeln ständig verschoben zu haben, war schon bescheuert genug, aber ich musste ja unbedingt noch hier rein, verfluchte er seine Unvernunft in höchstem Ausmaß. Und dann das! Wie es aussieht, quittiert das Scheißding ausgerechnet bei dieser Fahrt seinen Dienst, fluchte er in Gedanken und mit dem Gefühl der aufsteigenden Panik weiter.

 

Die Sorge, er und all die anderen Menschen könnten noch um einiges länger in der Höhe festhängen, bis die Gondel sich endlich wieder in Bewegung setzen sollte, befeuerte Christophers Angst, es irgendwann nicht mehr einhalten zu können. Dass er sich in jenem Fall zwangsläufig in die Hose würde pinkeln müssen, glich einem Alptraum, den er besser nicht real erleben wollte. Und dass diese Horrorvorstellung vor den Augen seiner Freunde wahr werden würde, die ihn nach Sichtung der nassen Jeans, wie er vermutete, für den Rest seines Lebens damit aufziehen dürften, gefiel ihm noch weniger. Zwar täten sie dies wohl mit einem freundlichen Augenzwinkern, doch hätte er wirklich Lust, ein beschämendes Szenario, wie das Bevorstehende, ständig aufs Neue präsentiert zu bekommen?

Nein, beantwortete Christopher sich die Frage selbst und presste sich ein zweites Mal die Hand fest in den Schoß. Verdammt, wie nötig ich mittlerweile pissen muss, daran sind nur die halbe Flasche Cola vorhin und das große Glas Bier schuld, das ich zu der Bratwurst hatte, resümierte er mit nervös klopfendem Herzen. Rastlos rutschte er, so gut es ihm in der festumschließenden Halterung möglich war, auf dem Sitzplatz herum.

 

Der Zwanzigjährige schaute hinunter auf das bunte Kirmestreiben des Nachmittags, versuchte, das nächstliegende Klohäuschen ausfindig zu machen, welches er unmittelbar nach dem Verlassen des Sitzes erstürmen wollte. Aufgrund der beträchtlichen Höhe, in der er sich mit den übrigen, zunehmend furchtsamer werdenden Freefall-Tower-Besuchern befand, war daran allerdings nicht zu denken. Viel zu winzig sah die Welt unter ihm aus, als dass einzelne Details zu erkennen waren. Dennoch probierte er weiterhin, etwas Ähnliches wie einen WC-Wagen zu erblicken – eine Entdeckung wie diese würde ihn beruhigen, wie er meinte, und in eine Art vorläufige Sicherheit wiegen, ohne die er glaubte, verrückt zu werden.

 

In seiner Harnblase pochte und brodelte es unheilvoll und als sein Schließmuskel sich aufgrund der restlos überfüllten Blase für einen kleinen Augenblick verselbstständigte, schoss ein kurzer, kräftiger Strahl heißen Urins aus seiner Harnröhre in seine Boxershorts hinein. Oh, nein, realisierte er das Geschehene erschrocken, bloß das nicht!

Panikartig brach dem jungen Mann der Schweiß aus, was die weiteren Fahrgäste lediglich der permanenten Sonnenbestrahlung zuschrieben, der sie in der Höhe ausgesetzt waren. In Christophers Inneren schaute es dagegen komplett anders aus – in der soeben deutlich demonstrierten Gewissheit, dass er es nicht mehr lange würde einhalten können, suchte er nun fieberhafter als zuvor nach einer Lösung seines äußerst dringlichen Problems, die nicht einmal ansatzweise in Sicht war.

 

Der Baumwollstoff der Shorts haftete feucht an seinem Penis, während dieser durch das dauerhafte, enorm belastende Zukneifen des Blasenschließmuskels fühlbar zitterte und zuckte. Durchgehend knuffte und knetete er seine Jeansbeule, um den peinigenden Pinkeldrang in Schach zu halten. Nichts sehnte er in diesem Moment inniger herbei als eine Toilettenschüssel, in die er befreit hineinpinkeln dürfte. Ein Königreich für ein Klo, dachte er zynisch und mit ungewohnt schwarzem Humor, der sich in jener aussichtslosen Situation allerdings als wenig hilfreich erwies.

Alex, der Freund an seiner linken Seite, versuchte fortlaufend, der unschönen Lage mithilfe seines positiven Denkens etwas Gutes abzugewinnen, doch mittlerweile stimmte niemand mehr seiner Ansicht zu.

 

Der Grund für ihr Festhängen war ein Stromausfall, wie sie zwischendrin per Lautsprecherdurchsage erfuhren. Der Besitzer des Freefall-Towers war extrem bemüht, seiner Stimme einen beruhigenden Ton zu verleihen, als er sich für den misslichen Zwischenfall entschuldigte und den seit knapp einer halben Stunde festsitzenden Fahrgästen versicherte, dass die Feuerwehr unterwegs sei, um sie schleunigst zu befreien.

In den Ohren der mit ihm ausharrenden Gruppe klang jene Mitteilung wahrscheinlich erfreulich und verheißungsvoll, doch für Christophers bittere Umstände war sie kein bisschen ermutigend. Bis die Feuerwehr eintreffen würde und sie wieder festen Boden unter den Füßen hätten, dürften wohl noch mindestens zwanzig Minuten vergehen, schätzte er das Zeitmaß ein, von welchem er sich sicher war, dass er es keinesfalls mehr durchhalten könnte. Zumal der Sicherheitsbügel die gesamte Dauer hindurch starr und unnachgiebig auf seinen Unterbauch drückte.

 

Als die stark beanspruchte Muskulatur seines Blasenausgangs ein zweites Mal kapitulierte, um erneut einen ungewollten Schwall herauszulassen, wurde ihm heiß und kalt zugleich. Scheiße, es passiert! Ich piss mich ein und kann nichts dagegen tun, schlussfolgerte Christopher geschockt und schmiedete in sekundenschnelle ein tollkühnes Vorhaben.

Klar werden die Leute meinen Schwanz zu sehen bekommen, doch alles ist besser, als mir hier oben in die Hose zu pinkeln, sagte er sich beherzt und bugsierte auch die zweite Hand zügig durch die schmale Lücke des Haltebügels hindurch. Mit dem Entschluss der Verzweiflung zerrte er nun hastig an dem Reißverschluss seiner Jeans, und bewegte den Zipper schließlich umständlich aber resolut nach unten. Inmitten dieser Aktion spürte er eindeutig, dass er an der Grenze jedweder Selbstbeherrschung angekommen war und sein Körper in jenem Augenblick ohnehin aufgegeben hätte.

 

Er beeilte sich schwitzend und mit angehaltenem Atem, die zwei Knöpfe seiner Boxershorts ebenfalls zu öffnen, nur um mit dem nächsten fahrigen Handgriff schon den Penis ungelenk aus der angefeuchteten Unterhose herauszuholen. Dieses war der Moment, in dem es um jegliche Disziplin geschehen war und der Zwanzigjährige nicht anders konnte, als zuzulassen, dass sämtliche Fluttore aufbrachen und er in hohem Bogen und mit sichtlich kraftvollem Strahl von dem luftigen Sitz des Freifallturms herunter pinkelte.

Dermaßen dringend war es nie zuvor in seinem Leben gewesen. Entsprechend erleichtert und mit einem geräuschvollen Ausatmen genoss er es, dem gewaltigen Fordern seiner Blase nun endlich nachzugeben. Okay, was ich mache, ist nicht gerade die feine englische Art, räumte er vor sich selbst ein, aber geil ist es trotzdem. Er stöhnte hörbar und das breite Grinsen, welches sein Gesicht überzog, zeigte sich in gleicher Weise auf dem Mund seines Freundes.

»Mann, du musst ja mächtig Druck gehabt haben«, rief Alex ihm zu und konnte ein belustigtes Lachen nicht für sich behalten. Der zweite Kumpel hatte lediglich einen freien Platz auf den rückwärtig liegenden Sitzen der Fahrgastgondel für sich ergattern können, so dass ihm jenes Pipi-Schauspiel komplett entging.

 

Die junge Frau an Christophers rechter Seite hingegen verpasste hiervon nichts. Allerdings löste sein ungehemmtes Pinkeln etwas in ihr aus und animierte ihren Körper zu dem Unvorstellbaren, das sie die gesamte Zeit ihres leidvollen Ausharrens krampfhaft hatte verhindern wollen: Sie pinkelte sich unaufhaltbar ins Höschen. Denn kein weiterer Stoff war vorhanden, um den, ohne Vorwarnung herausströmenden, heißen Urin aufzusaugen.

Über dem Slip trug die attraktive Blondine einen Minirock, welcher zwar farblich abgestimmt zu dem leichten Oberteil und ihren zarten Schuhen passte, doch in diesem Augenblick nicht dienlich war, die viele Nässe abzufangen.

Christophers Sitznachbarin hatte ebenso still gelitten und nicht weniger verbissen versucht, es einzuhalten, wie er. Entsprechend gereizt und böse war sie nun in ihrem Schamgefühl, dass sie die gesamte Schuld auf ihn schob.

»Nur wegen dir! Weil du einfach so ausgepackt und losgepinkelt hast, konnte ich es nicht mehr anhalten! Jetzt mache ich mich total nass«, schimpfte sie, indessen es noch immer dammbruchartig aus ihrem Schoß auf den Sitz zischte und von dort in die Tiefe hinunter pladderte.

 

In den Augen der blonden Schönheit standen Tränen. Sie blickte erst in ihren Schritt und danach zu Christopher herüber, der, als er sie ebenfalls anschaute, bald ein kaum wahrnehmbares Grinsen in ihren erbosten Gesichtszügen ausmachen konnte. Verlegenheit und eine grenzenlose Erleichterung spiegelten sich im Ansatz ihres Lächelns wieder – Emotionen, die er im selben Moment gleichermaßen durchlebte und die er aus diesem Grund hervorragend nachempfinden konnte.

»Aber es fühlt sich geil an, oder?«, erkundigte er sich genauso verhalten grinsend, während er seinen Penis zurück in Shorts und Jeans schob und den Reißverschluss halbwegs annehmbar verschloss. »Übrigens war es bei mir nicht weniger knapp«, ergänzte er, »und ich konnte echt nicht wissen, dass du auch so nötig pinkeln musstest.«

»Hast ja recht, sorry«, gab die junge Frau zu und noch während Christopher darüber nachdachte, die süße Blondine nach der Befreiung um ihre Telefonnummer zu bitten, sahen sie zusammen mit den anderen Fahrgästen von hoch oben die roten Feuerwehrautos mit ihren Blaulichtern herannahen.

 

»In deinem Horoskop steht übrigens, dass du dem Mann, mit dem du heute gemeinsam von einem Turm pinkelst, unbedingt deine Nummer geben musst«, rief er mit einem flirtenden Lachen auf den Lippen zu der der jungen Frau herüber, was diese ihm mit einem vielsagenden Blick beantwortete. Das ist eindeutig ein Ja, deutete Christopher den Augenkontakt präzise. Und wer weiß, vielleicht darf ich sie später sogar zu einem Date einladen, hoffte er aufrichtig, denn wer könnte besser nachvollziehen als sie, wie sehr ein solch außergewöhnliches Erlebnis verbinden kann …