Ein feuchter Zwischenfall – Gewindelt auf Fahrradtour (Kurzgeschichte)

Ein feuchter Zwischenfall
Gewindelt auf Fahrradtour

Von Rebecca Valentin

Kurzgeschichte, erschienen am 04.09.2025

VG Wort

Brünette Frau mit Windeltasche gemeinsam mir Freunden auf einer Fahrradtour.

 

Es gibt Dinge, über die spricht man nicht. Nicht in der Mittagspause, nicht am Kaffeetisch, nicht mal mit der besten Freundin. Blasenschwäche ist so ein Thema. Vor allem, wenn man nicht 80 Jahre alt ist, sondern gerade einmal Anfang 30 – so wie Jannika.

Für die 31-Jährige war das Verheimlichen ein Teil ihrer Realität. Und dabei ist sie im Grunde eine lebenslustige, liebevolle und reflektierte Frau mit einem wachen Blick und einem feinen Sinn für Humor. Nach außen gibt sie sich souverän, ist beruflich als Grafikdesignerin erfolgreich und in ihrer Freizeit sportlich und lesebegeistert. Insgesamt eine dieser Frauen, die scheinbar alles im Griff haben: ein guter Job, ein aufgeräumtes Zuhause, ein kreativer Kleidungsstil irgendwo zwischen nordisch schlicht und charmant verspielt. Doch hinter dieser Fassade lebte sie mit einer Unsicherheit, die sie niemandem anvertraute und von der kaum jemand vermutet hätte, dass es sie gab: Jannika trägt täglich Erwachsenenwindeln. Keiner in ihrem Umfeld ahnte, dass ihr Alltag nicht nur von Deadlines und Entwürfen bestimmt wurde, sondern von der ständigen Sorge, die Kontrolle zu verlieren. Im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Sie leidet an einer angeborenen Schwäche des Blasenschließmuskels – einer neurogenen Blasenfunktionsstörung, die erst mit der Pubertät richtig zum Vorschein kam. Wachstum, hormonelle Umstellungen und der veränderte Körperrhythmus machten ihr Leben plötzlich zu einer Herausforderung. Zu Beginn hatte sie die feuchten Unfälle noch auf zu viel Lachen oder schlechte Tage geschoben. Doch dann, als die Vorfälle sich häuften, war es medizinisch abgeklärt worden und die Diagnose hatte festgestanden.

Der Leistungsdruck in der Schule, die Angst vor Klassenfahrten, dem Umkleiden nach dem Sportunterricht und das kräftezehrende Überspielen des Problems hatten ihr den Alltag zunehmend erschwert. So war sie zusammen mit ihren Eltern auf die Suche nach einer Lösung gegangen: Medikamente halfen nur eingeschränkt, operative Eingriffe waren riskant und wenig erfolgversprechend. Übrig blieb das pragmatische und höchst verhasste Ergebnis: Inkontinenzprodukte. Windeln für Erwachsene. Es war ein Schock, den Jannika nur schwer verdauen konnte. Die sind nur für Babys, hatte sie gedacht und sich zunächst geweigert. Doch das Leben war gnadenlos: Unterwäsche, die nicht nur einen kleinen Fleck hatte, sondern erheblich feuchter wurde, damit verbundene Gerüche, peinliche Situationen. Jannikas Selbstbewusstsein bekam Risse, die sie versuchte, mit Ironie zu überdecken. Innerlich war sie jedoch oft vor Scham zerflossen. Ein echtes Desaster für einen Teenager.

Sie wurde stiller, hatte begonnen, sich zurückzuziehen und gelernt, jeden Tag akribisch zu planen. Sie wusste stets, wo sich die nächste Toilette befand, trank dabei zu wenig und ging nie spontan irgendwohin mit. Mit der Zeit war sie gut darin geworden – im Tricksen, Taktieren und Verschweigen.

 

Mit Beginn des Erwachsenenalters hatte sie für sich festgestellt, dass das Versteckspiel mehr Lebensqualität kostete als die Inkontinenz selbst. Doch der Wandel war nicht von heute auf morgen vollzogen. Ihre erste Windelhose hatte sie allein zu Hause ausprobiert, zögernd, mit einem Empfinden zwischen Ablehnung und Erleichterung. Das warme Gefühl, als es aus ihr herauslief, war zum ersten Mal nicht erschreckend, sondern im Gegenteil sogar schön gewesen, weil sie wusste, dass die Windel den Urin sicher auffangen und er daher keinen nassen Fleck in ihrem Slip hinterlassen würde.

Inzwischen hatte sie herausgefunden, welche Produkte zu ihr passten, was zuverlässig war, was auffällig raschelte und was nicht. Sie bestellte sich verschiedene, diskrete Modelle online, lernte, welche Kleidung gut kaschierte, und war Meisterin darin geworden, die Räume ausfindig zu machen, in denen sie sich heimlich eine trockene Windel anlegen konnte. In der Gesamtheit war eines aber geblieben: Sie sprach nie darüber; den Mut für eine solche Offenheit hatte sie noch nicht gefunden. Nach wie vor wusste niemand außer ihren Eltern von ihrer Harninkontinenz.

 

Es war ein Samstag im Mai, der alles verändern sollte. Der Himmel war blau, leicht bewölkt, genau das richtige Wetter für die Fahrradtour mit ihrer Clique. Sie hatten einander im Studium kennengelernt und über die Jahre hinweg den Kontakt nicht verloren – eine Mischung aus Kreativen, Freigeistern und anderweitig Talentierten. Geplant war eine 20-Kilometer-Strecke durch das grüne Umland von Norlingburg, mit einer Picknickpause an dem kleinen See.

Nachdem die Idee in ihrer Whatsapp-Gruppe aufgekommen war, hatten sich Jannikas übliche Bedenken zu Wort gemeldet und sie war sich unsicher gewesen, ob sie sich trauen konnte, mitzufahren. Die Route vor ihrem inneren Auge zu sehen, hatte es nicht besser gemacht – kaum öffentliche Toiletten, wenn es überhaupt irgendwo eine am Wegesrand gab, viel Bewegung, wenig Rückzugsmöglichkeiten. Aber irgendetwas sagte ihr: ›Mach mit, du willst keine Außenseiterin sein‹. Also wagte sie es und tippte aufgeregt und mit ängstlichem Herzklopfen ihre Zusage in den Gruppenchat.

 

An diesem Vormittag war sie wie immer gewindelt. Es war eine ihrer diskreten Tenas, die sie unter der Hose trug, eine, die nicht knistert und die von außen nahezu unsichtbar war. Eine frische Windel, Hautcreme, Wechselsachen, Feuchttücher und die Sonnencreme waren in der hellen Umhängetasche verstaut, eine leichte Decke auf dem Gepäckträger verzurrt.

Die ersten Stunden verliefen gut. Lachen, ausgelassene Gespräche, der angenehm kühlende Fahrtwind. Jannika genoss es fast, bis auf jene Momente, in denen nicht nur ein feuchter Unfall passierte, sondern gleich mehrere hintereinander – nicht schlimm, aber genug, dass sie jeden von ihnen spürte. Und dabei hatte sie doch vor der Abfahrt extra wenig getrunken, auf Kaffee oder Tee sogar ein Glas Wasser zum Frühstück verzichtet. Jetzt fühlte sie stets aufs Neue, wie es warm aus der Öffnung ihrer Harnröhre hervorströmte, kitzelnd an der sensiblen Haut ihrer Vulva entlanglief und vom weichen Vlies der Diaper aufgesogen wurde.

Oje, es wird mehr, und ich bin nicht allein! Immer öfter schaute sie sich ängstlich um. Die Befürchtung, die anderen würden es mitbekommen, weil der Sattel ihres Fahrrades oder die Hose im Schritt nass geworden sein könnte, breitete sich aus – sofort kam der alte Reflex: Panik, Angst, dass es als beschämend oder lächerlich angesehen werden könnte. Die Sorge, wie sie dastehen würde – eine erwachsene Frau mit Windel, die sich zwischen ihren Freunden einpinkelt … In ihrer Furcht wollte sie abbrechen, den Rückweg antreten, sich mit einer Ausrede nach Hause flüchten, wie so oft vorher. Doch dann geschah etwas Unerwartetes:

Paul, der Bruder einer Freundin, war an diesem Tag dabei. Jannika hatte schon von ihm gehört, ihn bislang aber nicht persönlich kennengelernt. Bereits bei der allgemeinen Begrüßung vor dem Start war ihr der große Blonde als sympathisch aufgefallen, doch ein Gespräch hatte sich nicht ergeben – mit seinem ruhigen, zurückhaltenden Wesen hatte er sich auf der Radtour meist im Hintergrund gehalten.

 

Am See angekommen, breitete die Gruppe ihre Decken auf der Wiese aus. Jannika stand leicht abseits, nervös mit geröteten Wangen, die, wie sie sich als Ausrede zurechtgelegt hatte, selbstverständlich von der Anstrengung des Radfahrens herrührten. Sie schaute sich gerade um, den Riemen der Umhängetasche in der Hand knetend, und überlegte fieberhaft, wo sie sich am besten frisch machen könnte, als Paul zu ihr trat.

»Alles okay? Du wirkst so nachdenklich … ein bisschen wie auf Rückzug.« Jannika blickte ihn an. Er sah wirklich gut, wie ihr auffiel, ein echt hübscher Mann. Mit dem Thema Liebe hatte sie sich stets schwergetan. Sie war hier und da verknallt gewesen, keine Frage, doch immer hatte ihre Inkontinenz sie zurückgehalten und einer konkreten Annäherung im Wege gestanden. Ihre Lippen formten sich zu einer Antwort, dann gab sie zum ersten Mal vor einem fast Fremden zu:

»Ich trage … na ja… einen Schutz. Ich hab eine Blasenschwäche. Und heute war es einfach etwas ungünstig und mir ist ein paar Mal ein Missgeschick passiert.« Erschrocken über ihre eigenen Worte und wie natürlich sie herausgekommen waren, wollte sie sich beinahe die Hand vor den Mund schlagen. Was war das denn, fragte sie sich selbst erstaunt. Ihre Wangen röteten sich schlagartig. Wieso war es ihr so seltsam leichtgefallen, Paul ihr streng gehütetes Geheimnis zu offenbaren? Sie kannte ihn schließlich kaum. Woher kam dann diese unvermittelte gefühlsmäßige Nähe?

Sein freundlicher Blick ruhte auf ihr. Kein Mitleid. Keine Abscheu. Kein Verziehen des Gesichts. Stattdessen nickte er. Langsam, wie jemand, der überlegt, welche Worte wirklich wichtig sind.

»Toll, dass du trotzdem mitgefahren bist.« Ein zaghaftes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Jannika lachte nervös.

»Das anzugehen, war schwerer, als die 20 Kilometer zu radeln.« Er grinste.

»Kann ich mir vorstellen. Ich trage nachts eine Zahnschiene und hab einen Tinnitus. Irgendwas ist doch immer …« Jannika konnte nicht anders, als erleichtert aufzuatmen. Freude durchströmte sie, die sich noch steigerte, als Paul ihr anbot, mit ihr gemeinsam im tiefen Gebüsch nach einem geeigneten Platz für den Wechsel ihrer Schutzhose zu suchen und ihr Sichtschutz anzubieten.

»Ich halte dir den Rücken frei«, sagte er mit einer wohltuenden Leichtigkeit, die er ebenso meinte, wie er sie formulierte.

 

Jannika kauerte sich zwischen das dichte Buschwerk, während Paul wenige Meter entfernt von ihr abgewandt stand – wachsam, diskret und auf eine beruhigende Art präsent.

Die Sonne warf helle Lichtpunkte auf das unebene Gras, das sanft gegen ihre Waden strich. Ihre Hände bebten aufgeregt, als sie die Umhängetasche öffnete und die unbenutzte Windel herausnahm. Auch dieses Mal war es ein emotionsbehafteter, intimer Moment. Nicht schamvoll – zumindest nicht mehr so stark wie früher, doch selbst nach den vielen Jahren noch immer ein wenig fremd. Dazu kam, dass dieser interessante und anziehend nordisch aussehende Mann nur geschätzte fünf Schritte von ihr entfernt stand …

Die benutzte Windel war warm, schwer, und feucht von ihrem Urin getränkt – ein Beweis für den Umstand, dass ihr Körper anders funktionierte, als sie es wollte. Immerhin war sie nicht ausgelaufen. Kein Fleck in der Kleidung, keine Katastrophe, freute Jannika sich. Genau dafür war der Schutz da. Sie rollte die nasse Diaper möglichst leise zu einem Päckchen zusammen, verschloss es mit den seitlichen Klebestreifen, wie sie es schon unzählige Male getan hatte – routiniert, erfahren und verstaute es in dem mitgeführten Plastikbeutel tief im Inneren der Tasche.

Behutsam reinigte sie sich den Intimbereich mit einem Feuchttuch, trug etwas Hautcreme auf und legte sich dann die frische Tena an. Weich und wohlig schmiegte sie sich die Haut, saß sicher und komplettierte das behagliche Empfinden des verlässlichen Schutzes. Erleichterung durchflutete die junge Frau. Und mit ihr ein stiller Dank. An die Windel, die ihr wie so oft den Tag gerettet hatte und an Paul – der dort stand wie ein Ritter, der seine Prinzessin vor neugierigen Blicken schützte.

 

Nach diesem Tag schrieben sie sich öfter. Bald darauf trafen sie sich, gingen zusammen in Cafés, Restaurants und ins Kino. Bei ihrer fünften Verabredung kochte Jannika in seiner Wohnung für ihn und blieb über Nacht. Als sie vor dem Zubettgehen ins Bad wechselten, ergriff sie ihre Tasche und nahm sie mit sich.

Bei ihrer Rückkehr, mit der frischen Windelhose unter dem langen Schlafshirt, saß er einfach da – entspannt auf der Bettkante, gelassen und nah.

»Mir ist wichtig, dass du dich wohlfühlst.« Mit diesen Worten erhob er sich und zog Jannika fest in seine Arme. »Dass dazu eine Windel gehört, spielt für mich keine Rolle. Denn soll ich dir was gestehen?« Jannika blickte zu ihm empor und nickte. »Ich bin vor unserer ersten Nacht genauso aufgeregt. Denn gleich wirst du mich zum ersten Mal mit meiner Zahnschiene sehen.« Beide grinsten zaghaft, dann lachten sie sich befreiend an. Das war der Moment, in dem in Jannika etwas aufbrach. Eine Vorstellung, die sie zu lange festgehalten hatte: das Bild, nur ohne Makel geliebt werden zu können und weniger wert zu sein, als die Menschen, bei denen offenbar alles »fehlerfrei« funktioniert. Zusätzlich zu dieser Erleichterung hörte sie seine Stimme flüsternd an ihrem Ohr, die der Situation den absoluten Glückskick bescherte:

»Ich habe dich unheimlich lieb, meine Janni, genau so, wie du bist.«

 

Wenn sie heute manchmal mit Paul in einem Café sitzt und lachen muss, spürt sie, wie sich Wärme in ihrem Schoß ausbreitet – das vertraute Herauslaufen ihres Urins. Und sie weiß im selben Augenblick, dass Inkontinenz nicht länger ein Tabu für sie ist. Nicht mit diesem wundervollen Mann an ihrer Seite, und auch darüber hinaus nicht. Es ist ein Teil des Lebens vieler Menschen. Und das Tragen von Windeln? Kein Zeichen von Schwäche, sondern von Selbstfürsorge, die Jannika nicht mehr verstecken muss und auf die sie inzwischen sogar ein bisschen stolz ist.