Eine verhängnisvolle Verspätung – Verzweifelt nötiges Warten (Kurzgeschichte)

Eine verhängnisvolle Verspätung
Verzweifelt nötiges Warten

Von Rebecca Valentin

Kurzgeschichte, erschienen am 01.06.2023

VG Wort
Frau in Jeans muss dringend pinkeln.

Mit fliegenden Fingern tippte Cathrin die Whatsapp-Nachricht in ihr Handy: Mann Leo, wo bleibst du denn? Ich muss irre dringend!

Das Absenden der höchst nachdrücklichen Erkundigung erfolgte aus gutem Grund – seit der gefühlten Ewigkeit, die sie bereits auf das Erscheinen ihrer besten Freundin Leonora wartete, stieg der Druck in Cathrins Blase beträchtlich an. Was soll die Verspätung schon wieder – ausgerechnet heute, fragte sie sich. Dass sie auf ihre engste Vertraute warten musste, war zwar nichts Neues, doch speziell in ihrer aktuellen Situation, in der sie einen so riesigen Pinkeldruck verspürte, nervte die Unzuverlässigkeit der Freundin ganz besonders. Dieser Samstag, der für ihre gemeinsame Shoppingtour perfekt geeignet erschien, musste doch nun wirklich nicht mit einem solchen Stress beginnen …

 

Das Bedürfnis nach einem erleichternden Toilettenbesuch wuchs von Minute zu Minute, doch zu Cathrins großem Bedauern war eine solche Erlösung nicht in Sicht. Das repräsentable Unternehmen, das als Treffpunkt diente und vor dessen Mauer sie stand, hatte am Wochenende ebenso geschlossen, wie es auch bei den übrigen Gebäuden der Fall war. Keine Chance also, dort mal kurz hinzuflitzen, um nach der Benutzung eines der Firmen-WCs zu fragen, wie sie es an jedem Werktag unter der Woche durchaus als Option in Betracht gezogen hätte.

Wenn wenigstens Leo käme, dann könnten wir endlich los und ich würde mir unterwegs irgendwo ein Klo suchen, wünschte sich die attraktive Blondine von Herzen. Mitten in diesen Gedanken hinein ertönte der Signalton, der den Eingang einer neuen Nachricht anzeigte. Cathrin öffnete sie ungeduldig: Kann den Autoschlüssel nicht finden, schreibe dir aber, sobald ich ihn habe, lautete die Antwort der Freundin, dessen Inhalt die junge Frau mehr in Unruhe versetzte, als dass er sie beruhigte.

 

Das kann dauern, so ein Mist, fluchte sie leise vor sich hin, als sie ihr Smartphone zurück in die hintere Hosentasche schob. Bis Leonora hier ist und wir in Hamburg sein werden, haben die Geschäfte wahrscheinlich längst geschlossen und mir ist die Blase geplatzt, stellte Cathrin sich den schlimmsten aller Fälle vor. Hoffentlich kommt es nicht so weit, hoffte sie, zumal ringsherum nicht der kleinste Ansatz einer Möglichkeit vorhanden war, sich statt eines Abstechers zur Toilette mal eben hinzuhocken, und es mit heruntergelassener Hose laufen zu lassen.

Mit zusammengekniffenen Beinen und von einem Fuß auf den anderen tretend blickte sie an dem hohen Tor entlang nach oben. Womöglich gibt es hier sogar Überwachungskameras für das Gelände rund um die Firma, dann könnte man sie, falls sie sich einfach an die Seite begeben würde, in einer der Aufzeichnungen pieseln sehen. Oh Gott, wie peinlich, malte Cathrin sich ihr Gefühl hinsichtlich des im Nachhinein zu sichtenden Anschauungsmaterials aus, nur das nicht! Selbst die Hand zwischen die Beine zu klemmen, um das Einhalten weniger schwierig zu gestalten, traute sie sich nicht.

 

Bitte bitte, finde den Schlüssel, beschwor sie die Freundin im Geiste, sich bei der Suche zu beeilen. Sie konnte nicht abschätzen, wie lange der Urin noch einigermaßen erfolgreich zurückzudrängen sein würde und verwünschte jeden Tropfen des üppig genossenen Kaffees vom Morgen, zu dem sie für die Gesundheit und zur besseren Verträglichkeit zusätzlich zwei große Gläser Wasser getrunken hatte. Wie gedankenlos kann man bloß sein, und das vor unserem tollen Hamburg-Bummel, auf den wir uns schon so lange gefreut hatten, haderte sie mit sich selbst und der Lage, in die sie sich derart leichtfertig gebracht hatte.

 

Bald darauf keuchte sie unwillkürlich auf und krümmte sich reflexartig nach vorn. Gleich einer tosenden Brandung türmte sich die Welle des Drucks in Cathrins Blase auf. Mittlerweile ließen die gewaltigen Wogen sie in immer kürzeren Abständen und mit merklich höherer Intensität spüren, wie unaufschiebbar ihr Problem geworden war. Dieses Aufbäumen war dermaßen verzweifelt gewesen, dass es die 32-Jährige gezwungen hatte, sich zur Entlastung weit vorzubeugen und in den Knien einzuknicken. Oh mein Gott, was ist das für ein wahnsinnig nötiges Gefühl und es wird immer schlimmer … Das Brennen hinter ihrem Schließmuskel gab ihr Recht; was als mittelschwerer Pinkeldrang begonnen hatte, steigerte sich inzwischen zu einer beschwerlichen Qual.

 

Nach weiteren fünf Minuten des endlos erscheinenden Ausharrens erklang das Handy in der Gesäßtasche ihrer Jeans erneut: Hab ihn gefunden! Mach mich jetzt auf den Weg, stand in dem bereits offenen Whatsapp-Chat geschrieben. Na endlich, und gib ordentlich Gas, damit ich mir nicht schon vorher die Hose nassmache, spornte Cathrin die Freundin in ihrer getippten Rückmeldung an, sich gehörig zu sputen.

Die drastischen Worte, die sie benutzte, verdeutlichten, wie ernst ihr die Aussage war. Cathrin konnte es kaum noch einhalten. Vor Anstrengung zitternd hielt ihr Blasenschließmuskel zurück, was so erbittert nach außen drängte. Allzu lange, so fühlte sie deutlich, würde ihr Höschen nicht mehr trocken bleiben …

 

Nach knapp einer Viertelstunde bog Leonoras VW Beetle um die Ecke. Unmittelbar neben Cathrin bremste sie scharf. Diese war sofort beim Fahrzeug, um mit nur einem Handgriff die Beifahrertür aufzureißen.

»Ich brauch ganz schnell ’ne Kloschüssel, egal wo«, empfing sie die Freundin atemlos und in hörbar gestresster Stimmlage. Bereits im nächsten Moment ließ sie sich auf den freien Sitz plumpsen – unvorsichtiger als sie es hätte tun sollen, denn durch den abrupten Wechsel ihrer Körperhaltung ausgelöst, quollen erste heiße Tröpfchen aus ihrer Harnröhre hervor.

»Oh nein«, jammerte die hübsche Blonde in aufkommender Panik und presste sich im gleichen Augenblick die rechte Hand auf den Mund. Zeitgleich spannte sie den Schließmuskel noch fester an, um ein solch feuchtes Missgeschick kein zweites Mal geschehen zu lassen.

Zur Ablenkung und um die aufsteigenden Tränen in ihren Augen zu unterdrücken, feuerte sie einen begründeten Vorwurf in Leonoras Richtung ab:

»Dass du aber auch immer so spät kommen musst. Kannst du deine Sachen nicht ein einziges Mal beisammen haben? Mann, Leo, ich kann nicht mehr, ich pinkel mich gleich ein, kein Scherz. Hier ist doch nirgends ’ne Toilette und ich schrieb dir schon vorhin, wie furchtbar dringend ich pullern muss.«

 

Mit mitfühlender Miene nahm ihre Freundin den berechtigten Anpfiff entgegen.

»Sorry, tut mir leid. Du hast ja Recht.« Im nächsten Satz versuchte sie, Cathrin mit einem aufmunternden Lächeln zu motivieren, unwissend, wie gefährlich nah die andere bereits vor der ultimativen Kapitulation stand:

»Aber keine Sorge, das schaffst du. Die paar Minuten, bis wir in Hamburg sind … Dann flitzen wir schnell ins erstbeste Restaurant oder Kaufhaus. Die werden ganz sicher ein Kunden-WC haben«, ermutigte Leonora sie weiterhin.

»Wenn du meinst …« Cathrin presste sich beide Hände fest in den Schritt.

»Na klar!«

 

Die Fahrt aus der Stadt heraus verlief noch teilweise zäh, dann aber wechselten sie auf die wenig befahrene Landstraße, die sie geradewegs zur Autobahn führen würde. Hier konnte Leonora das Tempo beträchtlich anziehen.

»Ja, schneller, schneller«, hetzte die extrem desperate Blondine ihre Freundin vorwärts. Von ihrem Schuldgefühl angetrieben, und um Cathrin die anhaltende, sichtlich bittere Quälerei zu verkürzen, drückte diese das Gaspedal weit durch.

Da es bis zur Autobahnauffahrt jedoch noch mindestens 20 Kilometer und bis zum Erreichen der Stadtgrenze Hamburgs weitere 60 Kilometer zurückzulegen galt, reichte die Erhöhung der Geschwindigkeit nicht aus, um die zeitliche Dauer bis zur Erstürmung der nächstmöglichen Toilette auszugleichen. Die Quittung hierfür erhielt die zusammengekrümmt Sitzende, kurz bevor der Hinweis zum Autobahnzubringer in Sicht kam.

»Halt an, Leo! Halt sofort an!«, rief sie mit schriller Stimme aus, »es fängt an zu laufen, ganz von allein!« Sie wibbelte nun noch unruhiger mit ihrem Po auf der Sitzoberfläche und quetschte sich die zuhaltenden Finger tiefer zwischen die eng zusammengedrängten Oberschenkel, als sie es ohnehin schon tat. Hilflos musste sie geschehen lassen, dass ihr Schließmuskel in diesem Augenblick aufgab und das Fluttor gegen ihren Willen aufsprengte.

 

Nie zuvor in ihrem Leben hatte Leonora den Blinker derart rasch gesetzt und ihren VW so zügig an den Straßenrand gelenkt, wie in jenem schreckbehafteten Moment.

Kaum dass der Wagen stand, wollte Cathrin sogleich hinausspringen, doch dieser ansonsten sehr leicht umzusetzende Plan ging in ihrer körperlich katastrophalen Verfassung nicht auf. Sie hatte gerade die Beine auseinandergenommen, um den ersten Fuß nach außen zu stellen, als sich das anfänglich warme Rinnsal in exakt dieser Zehntelsekunde zu einem kräftigen Strahl wandelte. So schoss der heiße Urin bereits aus ihrer Harnröhre hinaus in den Slip, als sie ihr Hinterteil noch nicht einmal vom Beifahrersitz erhoben hatte. Unaufhaltsam rauschte es in ihr Höschen hinein und durchtränkte den Stoff der Bluejeans in Windeseile.

 

Im Auto der besten Freundin sitzenzubleiben und zuzulassen, dass das Polster vollkommen durchnässt werden würde, kam für Cathrin keinesfalls in Frage. Niemals wieder könnte sie ihr unter die Augen treten, dessen war sie sich zu einhundert Prozent sicher. Diesen einzigen, rationalen Gedanken zu fassen, war sie noch imstande, als sie ihr Aussteigen aus dem Fahrzeug hastig fortsetzte. Obwohl sie anhaltend pinkelte und nicht das Geringste dagegen tun konnte, hielt sie sich, keiner Logik folgend, nach wie vor die Hand zwischen die nasser werdenden Schenkel gedrückt.

 

Auf dem grün bewachsenen Rand der Landstraße trat Cathrin einige Schritte zurück, um zu dem Baum zu gelangen, an dessen Stamm sie sich festhalten wollte, während das Unfassbare weiterhin geschah. Es jagte kraftvoll aus ihr heraus, durchtränkte den Slip und die Jeans in reichhaltiger Menge und floss zu guter Letzt warm in ihre Strümpfe und Schuhe hinein.

Sie konnte die Tränen der Scham und der absoluten Bloßstellung vor der Freundin nicht zurückhalten. Damit diese ihr Weinen vom Inneren des Wagens aus jedoch nicht erblicken konnte, wandte sie sich um und hielt die freie Hand schützend vor ihr Gesicht. Hierbei ahnte sie nicht, dass Leonora mittlerweile ebenfalls aus dem Beetle ausgestiegen war.

 

Keine Minute später spürte Cathrin, wie ein Arm um ihre Schultern gelegt wurde und Leonora sie fest an sich drückte.

»Oh, Süße, nicht weinen«, versuchte sie voller Bedauern zu trösten. »Das Ganze tut mir so unendlich leid. Weil ich mal wieder so dumm den Schlüssel verbummelt hatte, bist du in diese schlimme Lage geraten … Bitte verzeih mir.« Ein leises Schniefen, gefolgt von einem bestätigenden Nicken war die Antwort Cathrins auf diese aufrichtig gemeinte Bemühung der Freundin, sie um Entschuldigung zu bitten.

»Natürlich, und ein bisschen bin ich ja auch selbst schuld daran. Weshalb muss ich auch vorher so viel Kaffee und Wasser trinken …«

 

Die Frauen wandten einander zu und schlossen sich fest in die Arme.

»Wie wunderbar, da bin ich aber erleichtert. Ich hab dich sehr lieb, weißt du das?«

»Ich dich auch«, erwiderte Cathrin gerührt und musste schon im nächsten Moment wieder lachen, als sie den durch und durch pragmatisch-aufmunternden Ausspruch der Freundin hörte, der ihrer höchst warmherzigen Gefühlsbezeugung folgte:

»Und hey, irgendwie müssen wir doch gar nicht nach Hamburg, die Klamotten können wir auch ganz easy online bestellen …«