Im gläsernen Käfig – Gefangen im Aufzug (Kurzgeschichte)

Im gläsernen Käfig
Gefangen im Aufzug

Von Rebecca Valentin

Kurzgeschichte, erschienen am 29.08.2019

VG Wort
Junge Frau ist im einem Glasaufzug eingesperrt.

So sehr hatte sie sich noch nie in ihrem Leben blamiert. Kein Missgeschick war jemals dermaßen peinlich und erniedrigend gewesen, wie die Sache vor ein paar Tagen im Möbelhaus. Wenn Marlena nur daran zurückdachte, spürte sie sogleich die Scham der Bloßstellung wiederkehren – selbst ihre Wangen wurden nach fast einer Woche noch so flammendrot, wie sie es an jenem Nachmittag in ihrem Fahrstuhlgefängnis erlebt hatte. Der Aufzug, mit dem sie steckengeblieben war, hatte sich zu einem gläsernen Käfig verwandelt – dank ihrer vollen Blase ein wahrgewordener Alptraum.

Noch heute verfluchte Marlena die Idee ihrer besten Freundin, sich ausgerechnet an einem heißen Sommertag nach einem neuen Sofa umschauen zu wollen. Jeden anderen Menschen zog es zur Abkühlung ans Wasser – ob an den Strand, ins Freibad oder an einen Baggersee, nur Kathi war so verrückt, sich auf die Autobahn zu begeben, um bei strahlendem Sonnenschein das größte Einrichtungshaus im Umkreis zu besuchen. Weshalb hatte sie sich nur dazu überreden lassen, die Freundin zu begleiten?

 

„Reichst du mir mal die Flasche rüber? Ich hab wahnsinnigen Durst!“, bat Marlena schon nach wenigen Kilometern. Ihr Wunsch nach einem Getränk überraschte Kathi nicht. Bei solch hohen Temperaturen wie der heutigen, heizte sich ihr Auto schnell auf. Und da es bereits viele Jahre auf dem Buckel hatte, verfügte es über keinerlei Komfort, wie er ihnen beispielsweise durch eine Klimaanlage geboten worden wäre. Aus diesem Grund reichte die Dunkelhaarige die Mineralwasserflasche verständnisvoll an ihre Beifahrerin weiter. Diese trank beherzt einige große Schlucke aus der 1,5-Liter-Flasche.

„Boah, das tut gut“, kommentierte sie, und konnte ein kleines, von der Kohlensäure hervorgerufenes Aufstoßen nicht verhindern.

„Ups, sorry“, kicherte sie in ihre Hand hinein, woraufhin Kathi grinsend abwinkte.

„Kein Problem, von dem Blubberwasser muss ich auch immer rülpsen.“

 

Die beiden Frauen hatten knapp dreiviertel der Strecke zurückgelegt, als vor ihnen plötzlich die Warnblinkleuchten mehrerer Fahrzeuge aufleuchteten.

„Ach Mist, ein Stau!“ Mit diesem wenig begeisterten Ausruf drückte Kathi den Knopf in der Mitte des Armaturenbretts, der das Symbol eines Warndreiecks zeigte, um den nachfahrenden Wagen das Stauende ebenfalls anzukündigen.

„Och nee, ausgerechnet bei dieser Affenhitze  …“, stöhnte Marlena und betätigte im selben Moment die Kurbel, um das Seitenfenster des alten Fiats komplett herunterzulassen. Ihre Freundin tat es ihr gleich und auf einen kühlen Luftzug hoffend, wurde sie ebenso enttäuscht, wie ihre Mitfahrerin: Nicht der kleinste Windhauch wehte in den Innenraum des Autos hinein. Die Luft schien zu stehen; die Blätter der Bäume und Büsche seitlich der Autobahn hingen nahezu reglos an den Zweigen.

Inmitten des Wartens angelte Marlena sich ein weiteres Mal die PET-Flasche mit dem sprudelnden Durstlöscher von der Rücksitzbank, bis sie sie schließlich bei sich behielt, um regelmäßig daraus zu trinken. Zum einen aus Langweile, zum anderen, um ihr Durstgefühl zu stillen, nahm sie immer wieder größere Mengen des Wassers zu sich. Kathi trank ebenfalls davon, jedoch erheblich weniger als ihre Begleiterin.

Die Hitze stand flirrend über der Asphaltdecke, die jungen Frauen schwitzten und nach einer geraumen Weile gab Kathi zu, dass dies wohl nicht das geeignetste Wetter war, um Möbel shoppen zu gehen.

„Siehste, hab ich doch gleich gesagt.“

„Ich weiß, hast ja recht.“ Reumütig lächelnd blickte sie zu ihrer Freundin hinüber und fügte dem Eingeständnis ihrer Wetterfehleinschätzung hinzu: „Umzukehren wäre aber sinnlos, zumal wir schon fast am Ziel sind.“

 

Nachdem sie beinahe zwei Stunden gestanden hatten, starteten die ersten Fahrzeuge vor ihnen die Motoren – ein sicheres Zeichen dafür, dass der Stau sich auflöste.

„Gottseidank geht’s weiter“, atmete die hübsche Beifahrerin aus, „denn so langsam müsste ich dringend mal aufs Klo.“ Kopfschüttelnd wandte die Fahrerin das Gesicht zur Seite.

„Das wundert mich überhaupt nicht. Warum konntest du es auch nicht lassen, fast die ganze Pulle leerzumachen?“

Bis der erwünschte Besuch eines WCs jedoch in greifbare Nähe geraten sollte, lag noch knapp eine halbe Stunde Autofahrt vor den beiden Mittzwanzigerinnen. In der ersten Zeit ging es, da der Rückstau sich nur langsam auflöste, lediglich schleppend voran. Mit jedem zurückgelegten Kilometer, der ihr wie eine gefühlte Ewigkeit erschien, wurde Marlena unruhiger.

„Oh, ich muss so wahnsinnig nötig“, kommentierte sie ihr fahriges Herumrutschen auf der Sitzfläche. „Hoffentlich sind wir bald da“, fügte sie ihrem Ausspruch leidend hinzu, auf welchen Kathi nur vertröstend reagieren konnte.

„Noch knapp 10 Minuten, dann hast du’s geschafft!“

„Zum Glück, lange halt ich’s echt nicht mehr aus!“

 

Das Möbelhaus kam in Sicht und mit ihm die Zufahrt auf den davorliegenden Parkplatz. Bestürzt erspähten die Frauen die Schlange der Pkws, deren buntlackierte Dächer in der Sonne glänzten. Wie es schien, waren sie nicht die einzigen Menschen, die sich für diesen Tag einen Einrichtungsbummel vorgenommen hatten.

Mittlerweile hielt Marlena die rechte Hand fest zwischen ihre Schenkel gepresst; nervös mit dem Po wippend, stöhnte sie die Erkenntnis, die sie in jenem Augenblick gewann, gequält heraus:

„Sag nicht, dass die auch alle hierher wollen  …“

„Schaut ganz so aus“, bestätigte die Freundin sachlich und schob, da sie die unangebrachte Nüchternheit ihrer Aussage erkannte, sogleich ein ermunterndes ‚Das kriegst du aber hin, keine Angst‘ hinterher.

„Oh je, du hast leicht reden, du fühlst ja nicht, wie tierisch dringend es bei mir ist“, entgegnete die Rothaarige von der Seite und war nicht in der Lage, den Unterkörper still zu halten. Sie wackelte mit den Füßen, hielt die Beine eng zusammen und versuchte angespannt, sich mit den Fingern vor ihrer warmen, drängend-pochenden Mitte zuzuhalten.

 

Wagen für Wagen fuhr auf das Gelände des Möbelhauses. Eine Handvoll Mitarbeiter stand bereit, jeden von ihnen auf dem Parkplatz in Empfang zu nehmen und sie geschickt den freien Parklücken zuzuweisen. Als Kathis Fiat fast an der Reihe war und sich nur noch wenige Autos vor ihnen in der Warteschlange befanden, löste Marlena wie aus heiterem Himmel den Sicherheitsgurt und öffnete hektisch die Beifahrertür.

„He, ich lauf schon vor und such mir schnell ’ne Toilette. Wir treffen uns dann drinnen“, rief sie, während sie bereits aus dem Kleinwagen sprang und ohne eine Antwort abzuwarten, die Fahrzeugtür gehetzt ins Schloss warf.

Um in gefasstem Tempo auf den Eingang des Einrichtungshauses zuzugehen, fehlte Marlena eindeutig die Gelassenheit. Das Tosen in ihrer Blase war kaum noch auszuhalten, der mächtige Druck, ausgelöst von dem reichhaltig genossenen Frühstückskaffee am Morgen und der großen Menge Mineralwasser im Auto, bestimmte ihr Denken komplett. Vehement versuchte er, sich Raum zu schaffen – dermaßen stark, dass Marlena zu spüren glaubte, ihr Einpinkeln in die Hose stünde kurz bevor.

Sie rannte quer über die markierten Parkflächen, schlängelte sich eilig an den vielen abgestellten Fahrzeugen vorbei und erreichte schließlich die geräumige Drehtür, die ihr den ersehnten Einlass in das kühle Innere des Möbelriesen gewährte.

 

Selbst in der weitläufigen Eingangshalle, in der sich unzählige Kunden tummelten, die ihr die missliche Lage deutlich ansehen würden, gelang es Marlena nicht, das Hinterteil ruhig zu halten. Sie trippelte von einem Fuß auf den anderen, schob sich erneut die Hand zwischen die Oberschenkel und suchte fieberhaft nach einer Hinweistafel, die ihr den Weg zu dem dringend benötigten Klo weisen könnte. Sie atmete schnell. Ihr Blick huschte sowohl über Preis- und Sonderangebotsschilder wie auch über diverse Wegweiser hinweg, doch obwohl sie all diese Hinweise in der Kürze eines Wimpernschlags registrierte, war sie, beherrscht von ihrem übermächtigen Blasendruck, nicht imstande, ein entsprechendes WC-Infoschild auszumachen.

Soeben wollte sie zum Informationsstand vorpreschen, der sich im hinteren Teil der Halle befand, um dort nachzufragen, da fiel es ihr plötzlich ein: Das Restaurant! Natürlich, da wird es auf jeden Fall Toiletten geben! Glücklich über die rettende Idee schaute sie noch einmal zu dem Wegweiser hinüber, der die Kunden durch die einzelnen Abteilungen leiten sollte: Das angestrebte Restaurant lag in der obersten Etage. Da muss ich also hin, wusste sie in diesem Moment, in dem ihr Blick bereits auf den Aufzug fiel, der kurz vorher im Erdgeschoss angekommen war und dessen Fahrgäste im selben Augenblick die gläserne Kabine verließen. Und dann wartet sogar schon der Fahrstuhl auf mich, was für ein Glück!, freute Marlena sich und verzichtete deshalb auf die Nutzung der Treppe.

 

Die schlanke Schönheit sprintete los, erreichte den Aufzug aus Glas und sprang hastig, mit nur einem Satz hinein. Sofort drückte sie die Taste mit der Zahl 5, was bewirkte, dass die Türen sich schlossen, bevor ein weiterer Mitfahrer zusteigen konnte. Herrlich, ganz allein hier drinnen, dann sieht niemand, wie doll ich zuhalten muss, um mich nicht auf der Stelle nasszumachen, atmete Marlena auf. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, brandete ihr Blasendruck in dieser Sekunde besonders intensiv auf. Ähnlich einer tosenden Welle, die bei Sturm gegen eine Kaimauer schlägt, fühlte sie ihren heißen Urin kraftvoll nach außen drängen. Gleich ist es so weit, gleich kann ich endlich, endlich aufs Klo. Ich muss es nur noch bis ins Restaurant aushalten, versuchte sie, sich zu beruhigen. Gleichzeitig überkreuzte sie die Beine und zwängte die Hand fester vor ihre Vagina, deren Schamlippen sie unterhalb des dünnen Tangas und der extrem kurzgeschnittenen Jeans-Shorts deutlich spürte. Vor ihrer Spalte fühlte es sich ungewohnt heiß an.

Der Fahrstuhl hatte sich nur knapp einen Meter emporbewegt, als Marlena unerwartet einen starken Ruck wahrnahm. Ohhh Gott, fast hätte es ein Unglück gegeben  … Atemlos presste sie die Finger enger in den Schoß und fragte sich mit aufsteigender Panik, was geschehen sein könnte. Er bewegt sich nicht mehr, erkannte sie, die Kabine scheint festzuhängen. Es stimmte, der Aufzug fuhr keinen Zentimeter weiter.

 

Erschrocken und mit aufgerissenen Augen schaute sie sich um. Zu ihrem Leidwesen war der Fahrstuhl an einer Position steckengeblieben, an der sie für die Vorübergehenden äußerst gut zu betrachten war. Wie in einem Schaukasten aus Glas ausgestellt, konnte jeder der vorbeigehenden Kunden sie in ihrer peinlichen Situation beobachten. Erste Blicke blieben an ihr haften, wurden wie magnetisch von ihrer verkrampften Körperhaltung angezogen, deren Zuhalten im Schritt eindeutig auf ihre extreme Pinkelnot hinwies. Wie demütigend und schier ausweglos zugleich  …

Mit der freien Hand betätigte sie hartnäckig jeden der vorhandenen Knöpfe, allerdings bewirkte dieses Vorgehen nicht die erhoffte Wiederaufnahme der Aufzugfahrt. Ganz im Gegenteil erweckte die gläserne Kabine den Eindruck, als würde sie für den Rest ihres Daseins zwischen den Etagen festhängen zu wollen: Sie gab keinen Mucks von sich, kein Piepsen, Brummen oder Summen.

Marlena hingegen konnte in dieser Hinsicht nicht an sich halten. Sie wimmerte und seufzte laut in ihrer immensen Pee-Desperation, teils vor Verzweiflung, zum größten Teil jedoch vor Anstrengung, die prallvolle Blase unter Kontrolle zu behalten – ein Kraftakt, wie sie ihn sich zuvor niemals hätte vorstellen können. Sie wand sich, hüpfte und tänzelte wie aufgezogen auf der Stelle. Hierbei beließ sie permanent die Finger vor ihrer Muschi, klemmte sich die Textilschichten des hauchzarten Höschens und der Hot-Pants fest in ihre ungeduldig pulsierende Ritze hinein. Kraftvoll drückte sie sie in die feuchte Glitschigkeit, wollte den goldgelben Strahl, der im Begriff war, druckvoll aus ihrer Harnröhre hervorzuschießen, um jeden Preis aufhalten.

Was soll ich nur tun? Ich muss doch so irre nötig! Und alle gucken zu  … Marlenas Hilflosigkeit war unübersehbar.

 

Wie es sämtliche Kunden des Möbelhauses getan hatten, die inzwischen vor dem Fahrstuhl standen und der jungen Frau ungeniert bei ihrem Pee-Dance zusahen, bemerkte auch die hinzugekommene Kathi die schamvolle Notlage ihrer Freundin. Ach, du meine Güte!, lautete der erste Gedanke, wobei sie sich schon mit dem zweiten fragte, wie Marlena wohl in diesen unglückseligen Zustand des Steckenbleibens hineingeraten sein konnte.

Voller Mitleid schaute sie durch die gläserne Wand in die Kabine hinein, spürte dann jedoch eine flammende Wut auf die schaulustigen Menschen um sich herum aufsteigen.

„Gehen Sie weg“, versuchte sie, die sich bildende Menschentraube zu verscheuchen, „hier gibt es nichts zu sehen!“ Die Leute schienen anderer Meinung zu sein: Vereinzelt leuchtete das Blitzlicht einer Handykamera auf, zudem hielten einige der Anwesenden ihr Smartphone in die Höhe, um Marlenas unfreiwillige Darbietung zu filmen.

„Nein, lassen Sie das! Und Sie bitte auch! Sie da hinten, weg mit dem Handy!“ Mit beiden Armen fuchtelnd, lief Kathi rufend zwischen den Neugierigen hin und her. Von großem Mitgefühl für Marlena angetrieben, gab sie ihr Bestes, um die Freundin aus dem Blickfeld des Interesses und dem Fokus der Mobiltelefone zu bringen.

Inmitten ihrer Bemühungen registrierte Kathi erleichtert, dass zwei Männer, wohl Mitarbeiter des Einrichtungsunternehmens, wie sie annahm, zusammen mit einem Herren, der einen Werkzeugkoffer bei sich trug, auf den Aufzug zusteuerten. Offensichtlich wird Marlena jetzt befreit, atmete die Dunkelhaarige innerlich auf, indessen sie noch immer ärgerlich versuchte, die Menschen von ihrer Schaulustigkeit abzuhalten.

 

Im selben Moment, in dem die rothaarige Schönheit das Geklapper von Werkzeug vor den Fahrstuhltüren hörte, war es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei. Ihr Schließmuskel hatte den Kampf verloren und öffnete, ohne dass Marlena imstande war, es weiterhin einzuhalten, alle Schleusen.

„Nein!“, schrie sie entsetzt auf und begann im nächsten Augenblick zu weinen. Obwohl sie fortwährend die Hand in ihre Körpermitte gepresst hielt, sprudelte es hemmungslos aus ihr hervor. Die Materialien von Slip und Shorts waren in kürzester Zeit durchtränkt; in einem kräftigen, nicht endenwollenden Strahl gab die Blase ihren Inhalt frei. Tränen der Demütigung flossen an ihren Wangen hinunter, gleichzeitig verspürte sie ein wohltuendes Gefühl der Befreiung und Erleichterung.

Wenige Sekunden später rann der Urin in warmen Rinnsalen ihre sonnengebräunten Beine hinab. Er lief in ihre Flip-Flops und sammelte sich unter den Fersen und zwischen den nackten Zehen. Marlena schloss die Augen. Vor Scham wie erstarrt, färbte sich ihr Gesicht blutrot. Sie fühlte förmlich die Blicke jenseits der Glaswand, wusste, wie sehr sie sich in diesem Moment blamierte und konnte nichts dagegen tun. Der goldgelbe Strom war nicht zu stoppen und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, wollte sie es auch gar nicht versuchen. Zu schön war die Entspannung und bloßgestellt war sie doch sowieso. Zwar hätte sie ihr T-Shirt gern weiter hinuntergezogen und es somit als Sichtschutz genutzt, doch da es ihr lediglich bis in die Taille reichte, kam diese Möglichkeit zur Wiederherstellung des letztverbliebenen Ehrgefühls ohnehin nicht in Frage.

 

Während Marlena ein wahrgewordener Alptraum quälte, bemühte Kathi sich weiterhin, die ungebetenen Zuschauer des Hosenpinkel-Szenarios zu vertreiben. Dass diese fortlaufend fotografierten und das Geschehen als Handyvideo aufnahmen, welches sie später womöglich im Internet veröffentlichen wollten, machte Kathi wütender, als sie es in Worte fassen konnte.

„Hört endlich auf! Was seid Ihr für Menschen? Habt Ihr kein Herz?“, brüllte sie fragend in die Menge der filmenden Zuschauer hinein. Da sie erwartungsgemäß keine Antwort erhielt, und die Gaffer nicht weniger wurden, beschloss sie, sich stattdessen ihrer Freundin zuzuwenden, die ihren Beistand sicher dringend bräuchte.

 

Inzwischen sollte sie ihrem gläsernen Käfig entkommen sein, mutmaßte Kathi richtig und spürte, als sie sich der Rückseite des Aufzugs näherte, dass ihr ein junger Mann folgte.

Sie wandte sich zu ihm um, schaute ihm ins Gesicht und sah, dass er optisch der klassische Nerd-Typ war: groß, schlank, mit dunkel gerahmter Brille und in Jeans und T-Shirt eher unscheinbar gekleidet. In der Hand hielt er eine Jacke, die er der tränenüberströmten Marlena, nachdem sie gemeinsam bei ihr angekommen waren, sogleich fürsorglich um die Hüfte band.

„Das ist wirklich nett von dir“, bedankte sich Kathi stellvertretend für ihre Freundin bei dem Unbekannten.

„Es gibt eben doch Menschen mit Herz“, entgegnete er daraufhin lächelnd. Für die Rückgabe der Jacke, wenn diese nicht länger benötigt werden würde, überreichte er Marlena eine Visitenkarte, auf der seine Telefonnummer geschrieben stand. Dass er insgeheim hoffte, er könnte den attraktiven Rotschopf bei dieser Gelegenheit auf einen Kaffee einladen, behielt er vorerst für sich. Ebenso, dass er fest an die Liebe auf den ersten Blick glaubte.