Kaufhausqual – Der vermaledeite Hosenknopf (Kurzgeschichte)

Kaufhausqual
Der vermaledeite Hosenknopf

Vierte Geschichte aus dem Buch „Süße Not“

Von Magenta König

Kurzgeschichte, erschienen am 06.10.2022

VG Wort
Frau in eingepinkelter Jeans mit Einkaufstüten

Nervös schaute Mia durch den Spalt zwischen Vorhang und Trennwand der Umkleidekabine. Der Gang war voller Menschen; die meisten von ihnen warteten mit Kleidung beladen darauf, in eine der begehrten Kabinen zu dürfen.

Samstags war das Kaufhaus immer gut besucht. Mia hatte mindestens zwanzig Minuten angestanden, bis ihre Freundin und sie endlich in der Schlange aufgerückt waren und eine der engen Umkleiden für sie frei geworden war. Bereits zu diesem Zeitpunkt hatte sie kaum noch stillstehen können, da ihre Blase drängte. Dieses Gefühl war jedoch nichts im Vergleich zu dem, was sie jetzt empfand. Und daran war einzig dieser vermaledeite Hosenknopf schuld. Schweißperlen liefen ihren Rücken hinunter, der rote Pulli klebte ihr förmlich am Körper. Die stickige Wärme des überfüllten Umkleidebereichs machte Mia schier verrückt.

Sehnsüchtig starrte sie den Gang entlang, auf der Suche nach Hilfe. Es erschien jedoch weder Alice noch sonst jemand, der sie in ihrer Not hätte unterstützen können. Stattdessen schaute sie in genervte Gesichter, die nur darauf warteten, dass sie sich endlich umzog und herauskam. Wenn sie das nur gekonnt hätte …

 

Begonnen hatte das Elend, wie Mia es in diesem Moment empfand, mit der Ungeduld ihrer besten Freundin. Alice, die im Übrigen das Gedränge in solchen Geschäften ebenso wenig mochte wie sie selbst, hatte sich widerwillig bereit erklärt, mit ihr shoppen zu gehen.

Gewöhnlich zogen beide Mädchen den Klamottenkauf online vor, doch da Mia die Einladung zu einem Date am morgigen Sonntag nicht hatte abschlagen wollen, dafür aber unbedingt ein ganz besonderes, möglichst lässiges Outfit benötigte, hatten die Freundinnen sich zum gemeinsamen Frühstück mit einem anschließenden Schaufensterbummel verabredet.

 

Grundsätzlich hatte der Tag sehr schön angefangen, mit warmen Croissants und Orangensaft, dazu den einen oder anderen Milchkaffee. In den Geschäften jedoch war die gute Stimmung schnell gesunken – wie stets, wenn Mia etwas Spezielles suchte, war nämlich genau dieses Stück kaum zu finden.

Stundenlang hatten die Mädchen die einschlägigen Modeboutiquen durchkämmt, doch bislang war die Ausbeute mager. Lediglich ein knappes Top in einem sommerlichen Meeresblau, das hervorragend zu Mias Augen passte, trug sie bereits in einer Papiertüte bei sich. Statt also längst zu Hause auf der Terrasse den Frühsommer zu genießen, eilten die beiden angespannt von einem Laden zum nächsten, immer unterbrochen von kurzen Zwischenstopps, um zu trinken oder ein öffentliches WC aufzusuchen. Dies war der zweite Grund für Alices Genervtheit, die mit jeder dahingehenden Minute anzusteigen schien.

 

»Herrgott, ich kenne niemanden, der so oft aufs Klo muss wie du«, hatte sie gemault, als Mia sich wieder einmal suchend nach den entsprechenden Hinweisschildern umsah.

»Warte wenigstens noch, bis wir diese Etage gecheckt haben – die Toiletten sind unten neben dem Eingangsbereich, da kommen wir auf dem Rückweg eh vorbei.« Obwohl sie zu jenem Zeitpunkt bereits einigermaßen dringend musste, hatte Mia sich widerspruchslos gefügt. Es störte sie ja selbst, und auch sie wollte sich nicht länger als nötig in diesem stickigen Gebäude aufhalten.

 

Einen Kleiderständer nach dem anderen prüften sie auf brauchbare Kleidungsstücke und mit zwei passablen Hosen und einem wirklich schicken Rock standen sie kurz darauf in der Warteschlange für die Umkleidekabinen.

»Lange halte ich das hier aber nicht mehr aus«, hatte sie Alice zugeflüstert, während sie versuchte, möglichst unauffällig die Beine zu verschränken, »Ich muss jetzt echt mal.«

»Wir sind ja gleich dran«, tröstete Alice, doch die Minuten zogen sich wie zähes Kaugummi und Mia wurde immer hibbeliger.

 

Als endlich die junge Frau direkt vor ihnen hinter einem Vorhang verschwand, glaubte Mia, es nicht länger ertragen zu können. Sie drückte ihrer Freundin die Sachen in die Hand und wollte den Weg Richtung Klo einschlagen, als diese sie festhielt.

»Nun komm schon, wir sind die Nächsten. Wenn du jetzt wegrennst, dann stehen wir hier gleich wieder ’ne halbe Stunde. Und diese eine Hose passt dir bestimmt super.« Mit diesen Worten gab Alice ihr die Klamotten zurück. Dabei hatte sie Recht. Auch Mia gefiel die helle Bluejeans, die mit ihren modischen Rissen in Höhe der Knie ein echter Hingucker war.

Plötzlich spürte sie jedoch, wie eine besonders intensive Welle der Not durch ihren Unterleib schwappte. Hektisch presste sie, von der ausgesuchten Kleidung verdeckt, eine Hand zwischen ihre Schenkel. Viel half das nicht, doch wenigstens ebbte der schlimmste Drang schnell wieder ab.

»Dann jetzt aber fix«, keuchte Mia leise und stürzte in die eben freigewordene Kabine.

 

Sie pfefferte die Probierklamotten auf den kleinen Hocker und trat sich die Ballerinas von den Füßen. Als sie hastig ihre Hose herunterzog, spürte sie, wie ihre Blase erneut rebellierte. Vermutlich lief irgendeine Art Automatismus ab und ihr Körper glaubte nun, sie entblößte sich für den rettenden Besuch auf dem WC. Einige Sekunden musste sie sich mit aller Kraft darauf konzentrieren, nur ja nichts laufen zu lassen, danach hatte sie sich so weit gefangen, dass es ihr möglich war, in die ausgesuchte Jeans zu steigen. Die anderen Stücke waren nicht mehr so wichtig, diese würde sie nicht auch noch anziehen.

 

Erfreut stellte sie fest, dass die knapp geschnittene Hose äußerst bequem war. Sie drehte und wendete sich vor dem Spiegel. Ein paar lockere Falten an ihrem Hintern und den Knien zeigten allerdings, dass sie ihr insgesamt ein wenig zu groß war.

Zu der gleichen Einschätzung kam Alice, die in diesem Augenblick den Kopf am Vorhang vorbeischob.

»Passt nicht, du brauchst ’ne Größe kleiner«, konstatierte sie, bevor sie wieder verschwand. Nur zu gern hätte Mia sie aufgehalten, doch insgeheim musste sie ihr recht geben. An sich eine sehr erfreuliche Feststellung; welcher Frau gefiel es nicht, wenn ihr bewusst wurde, ein wenig an Gewicht abgenommen zu haben. In diesem Moment wäre es Mia jedoch lieber gewesen, wenn sie einfach das erstbeste Stück hätte nehmen können.

Unruhig befreite sie sich aus der angesagten Jeans, trat danach von einem Fuß auf den anderen, während sie auf ihre Freundin wartete. Was dauerte denn da so lange? Sie wusste genau, dass der Stapel mit diesem Modell ganz in der Nähe und nicht etwa am anderen Ende der Etage lag.

 

Ein weiteres Mal wurde der Harndrang fast übermächtig. Mias Blase war prall gefüllt, der Urin presste gegen ihren Schließmuskel. Sie spürte, wie ihr Atem schneller wurde, als sie sich zwang, an etwas anderes zu denken. Vor ihrem inneren Auge lockte das erlösende Klo. Gerade, als sie beschlossen hatte, dass sie nicht mehr warten konnte und einfach die kleinere Nummer kaufen würde, ohne sie anzuprobieren, streckte ihre Begleiterin den Arm in die Kabine. In der Hand baumelte die Hose in der gewünschten Konfektionsgröße.

»Sorry Süße, ich musste erst ’ne Verkäuferin auftreiben. Gab keine 38er mehr in dem Regal.« Dankbar und gleichzeitig völlig verzweifelt riss Mia das Teil an sich. Schnell stieg sie hinein, zerrte sich den nun wirklich knappen Stoff über den Po.

»Guck, passt«, fand sie, doch Alice bestand darauf, dass sie die Jeans wenigstens einmal vollständig anzog.

»Komm, zumachen und drehen. Ich finde die aber echt klasse«, unterstrich Alice ihre Wahl. Mit zittrigen Fingern gelang es Mia kaum, den Knopf und die zusätzliche Metallöse der neuen Hose zu schließen.

 

Endlich hatte sie das kleine Plättchen durch den winzigen Schlitz gequetscht. Sie seufzte auf. Die Tatsache, dass sie den Bauch einziehen musste, um dieses Modell zu verschließen, machte die Sache nicht gerade besser. Ein leises Keuchen entfuhr ihr, als sie den äußeren Druck auf ihrem gewölbten Unterbauch spürte.

Der Blick in den Spiegel bestätigte ihren ersten Eindruck: Dieses Mal saß alles perfekt, wenn auch wirklich hauteng. Doch das konnte sie sich leisten. Auch Alice schien zufrieden.

»Die nehmen wir. Echt hammersexy. Zieh dich schnell wieder um, dann gehe ich schon mal zur Kasse, während du zur Toilette abschwirrst.«

Mit diesen Worten verschwand sie hinter dem Vorhangstoff, den sie mit einem ratschenden Geräusch zuzog.

 

Doch das Umziehen war leichter gesagt als getan. Mia, in Gedanken schon beim rettenden WC, löste die kleine Extraschließe, versuchte dann verzweifelt, auch den Hosenknopf zu öffnen. Das steife Material machte es ihr jedoch unmöglich, mit ihren unruhigen Fingern etwas auszurichten.

»Alice, hilf mir.« Sie hörte die Panik in ihrer Stimme. Lauter als nötig rief sie noch einmal nach ihrer besten Freundin.

»Ich kriege das Mistding nicht auf.« Alice erschien erneut und erfasste die Situation sofort.

»Zieh den Bauch ein«, befahl sie, während sie beherzt zugriff, um die widerspenstige Hose zu öffnen. Mia jammerte gequält, presste ihre Oberschenkel fest zusammen und tat ihr Möglichstes. Doch auch nach dem zweiten Versuch funktionierte es nicht. Offensichtlich war der Knopf, den sie in ihrer Hektik mit Gewalt durch das viel zu kleine Knopfloch geschoben hatte, nicht dazu zu bewegen, auch in die andere Richtung durchzurutschen.

 

Ratlos starrte Alice auf die topmoderne Jeans. Mia hingegen hatte Mühe, nicht zu weinen; aus Wut über die Situation ebenso wie aus Verzweiflung.

»Was machen wir denn jetzt?«, fragte sie angstvoll. Ihr Körper signalisierte ihr, kaum länger standhalten zu können. Ihre Blase konnte jede Sekunde überlaufen, doch dieses wollte sie unter allen Umständen verhindern – hier, in einer fremden Hose, von der sie sich nach einem nassen Unfall vermutlich genauso wenig würde befreien können wie jetzt, mitten unter den vielen Leuten im Gang des Umkleidebereichs. Nein, ausgeschlossen. Sie brauchten Hilfe, und das schnell.

»Hast du irgendetwas, um den blöden Knopf abzuschneiden?« Die Idee der Freundin war gut, doch leider besaß keine von ihnen ein Taschenmesser oder Ähnliches. Mia schüttelte den Kopf.

»Dann hole ich jetzt eine Verkäuferin.« Alice lief sofort los. Im ersten Moment hätte Mia sie fast aufgehalten, da sie ihre peinliche Lage vor wirklich jedem Menschen verbergen wollte. Derweil sah sie jedoch ein, dass ihr vermutlich nichts anderes übrig bliebe, als auf den beigefarbenen Kaufhausteppich zu pinkeln, wenn sie nicht innerhalb der nächsten Sekunden aus diesem Gefängnis in Form einer Jeans herauskommen würde.

 

Die wenigen Minuten kamen Mia wie eine Ewigkeit vor. Mit der Hand inzwischen dauerhaft zwischen die Schenkel gepresst und auf der Stelle tretend, versuchte sie krampfhaft an etwas anderes als den goldgelben Urin zu denken, der sie so quälte und der jeden Moment in deutlichen Streifen an ihren Beinen herablaufen würde. Sie schwitzte. Gezwungenermaßen hoffte sie, sich bis zum Ende zuhalten zu können, obwohl sie bereits fühlte, wie der erste Schwall aus ihrer überlaufenden Blase in die Harnröhre gedrückt wurde.

 

Noch nie hatte Mia dermaßen dringend pinkeln müssen. Sie verfluchte jedes Getränk, das sie am heutigen Tag zu sich genommen hatte, ebenso wie jede ihrer Entscheidungen, die zu der prekären Situation geführt hatte. In ihrer derzeitigen Lage hätte sie mit Freude auf neue Kleidung oder Dates für den Rest des Jahres verzichtet, wenn sie es nur endlich, endlich laufenlassen dürfte.

Sie verbot sich jeden Gedanken daran, verbot sich, sich eine Toilette auch nur vorzustellen, denn ihr war bewusst, dass schon jetzt jegliche Grenze überschritten war.

 

Sie stöhnte auf. Eine erneute Woge fuhr durch ihren Körper und dieses Mal spürte Mia, dass sie es nicht mehr halten konnte. Ein kleiner Schwall lief aus ihr heraus. Feuchtigkeit drang in den Stoff ihres Slips.

In dem Augenblick, als sie Alice mit einer jungen Frau im Schlepptau den Gang entlangkommen sah, fasste Mia einen Entschluss: Sie schlüpfte noch kurz in ihre Ballerinas, stürzte dann aber, ohne nach rechts oder links zu schauen, aus der Kabine heraus und in Richtung der Rolltreppen.

 

Rempelnd und rücksichtslos bahnte sie sich den Weg nach unten, sich darauf verlassend, dass ihre Freundin sich um ihre Sachen kümmern würde – und vor allem, dass Alice Recht gehabt hatte, als sie sagte, die Klos seien direkt neben dem Eingang.

 

Ein weiterer Schwall der Nässe ergoss sich in die Hose, bis sie endlich die Tür zum Sanitärbereich aufgerissen und sich so, wie sie war, auf eines der WC-Becken gesetzt hatte.

In diesem Augenblick brachen alle Dämme. Mia hatte keine Chance mehr. Ein Gefühl unendlicher Erleichterung durchflutete sie, als sie loslassen und ihrer berstenden Blase nachgeben durfte.

Sie fühlte die heiße Flüssigkeit aus ihr heraussprudeln, spürte, wie sich der blaue Stoff bis zum Po vollsog und es unter ihr in vielen einzelnen Strahlen in die weiße Schüssel prasselte. Sie seufzte vor Glück.

Erst jetzt bemerkte sie die offenstehende Kabinentür; in der Eile hatte sie keine Zeit gehabt, sie zu schließen. Doch mit einem Grinsen stellte sie fest, dass sie ja ohnehin noch vollständig bekleidet war.

 

Nun, nachdem die Not vorbei war, ergriff sie eine tiefe Gelassenheit. Sogar als ihre Blase leer war, blieb sie noch eine Weile sitzen und entspannte sich, bevor sie begann, sich so gut wie möglich abzutrocknen. Der große Fleck prangte jedoch unübersehbar auf dem Stoff, doch das war Mia plötzlich gleichgültig. Alles war nun egal.

 

Als sie aus der Toilette heraustrat, kam ihr Alice mit besorgtem Gesichtsausdruck entgegen. Diese hatte zwischenzeitlich die neue Jeans bezahlt, um nicht zu riskieren, dass die Verkäuferin Theater machte. Mia nahm ihr die Papiertaschen des vorherigen Einkaufs ab und verkündete grinsend:

»Weißt du was? Mir gefällt diese Hose total. Nur mit dem verfluchten Knopf, da müssen wir uns was einfallen lassen …«