Lehrjahre sind keine Herrenjahre – Pee-Desperation auf dem Rücksitz des Firmenwagens (Kurzgeschichte)

Lehrjahre sind keine Herrenjahre
Pee-Desperation auf dem Rücksitz des Firmenwagens

Von Magenta König

Kurzgeschichte, erschienen am 30.01.2020

VG Wort
Blick in den Rückspiegel beim Stau auf der Autobahn

Als Leon die Warnblinker bemerkte, die die vor ihnen fahrenden Wagen einschalteten, ahnte er, dass er in Schwierigkeiten war. Eingeklemmt zwischen den beiden gröbsten Typen in seinem Ausbildungsbetrieb kauerte er auf dem Rücksitz des Firmenwagens; hinter ihnen standen Farbeimer und all das Zubehör, das sie auf der großen Baustelle benötigen würden, zu der sie unterwegs waren.

 

Leon wusste, dass sein Chef alles dafür getan hatte, den Zuschlag für die neue Wohnanlage zu bekommen. Der Auftrag für die Malerarbeiten in einem solchen Gebäudekomplex war ein wirklich dicker Fisch für den mittelständischen Betrieb. Dafür nahm der Alte auch gern in Kauf, dass der größte Teil seiner Leute nun wochenlang über hundert Kilometer pendeln musste – im Berufsverkehr und über die meistbefahrenen Autobahnen des Ruhrgebiets.

Heute waren sie schon vor sechs Uhr früh gestartet, doch das änderte nichts an dem Stau, der sich vor ihnen bildete. Zähflüssig war es bereits seit über zwanzig Minuten, doch nun kam der Verkehr beinahe zum Erliegen. Und sie waren noch nicht einmal weit vorangekommen. Der Gedanke, wie lange er nun hier würde ausharren müssen, trieb Leon den Schweiß auf die Stirn. Er biss sich auf die Unterlippe. Dabei war er genau genommen sogar selbst Schuld. Was für ein Irrsinn, sich morgens drei Tassen Kaffee hineinzuschütten, wenn sie doch eine ganze Weile eingepfercht in dieser Kiste sitzen mussten. Anders hätte er allerdings überhaupt nicht funktioniert: Der Abend beim Fußball war lang gewesen, das eine oder andere Bierchen hatte dafür gesorgt, dass er die nötige Bettschwere erlangt hatte. Leider war ihm entgangen, dass die Party zu Ehren ihres Vereins sich nur schlecht mit dem neuen Auftrag vertrug, der für ihn ein noch früheres Aufstehen bedeutete. Leon kam schon kaum aus dem Bett, wenn er um sieben bei der Firma auftauchen musste – halb sechs war schlicht tödlich. Zu spät zu kommen war allerdings keine Option, dafür hatte er in seinen zwei Lehrjahren schon zu oft eine Standpauke erhalten. Sollte er nun den ganzen Betrieb beim Start zu diesem Projekt aufhalten, würde sein Chef zu Recht stinksauer sein. Also hatte er versucht, seinen Kater mit einer kalten Dusche und reichlich Kaffee zu vertreiben, ungeachtet der Tatsache, dass die heiße Flüssigkeit postwendend wieder hinaus müsste. Jetzt erhielt er die leidvolle Quittung. Verstohlen beugte er sich nach vorn und probierte, eine bequemere Position zu finden. Seine Blase drückte schon erheblich.

 

Was bist du nur für ein Vollidiot?, fragte er sich im Stillen, als er realisierte, dass es fast unmöglich schien, noch bis zum Ziel durchzuhalten. Genauso indiskutabel war es allerdings, den fahrenden Kollegen zu bitten, mal rechts ranzufahren. Der Stau würde sie ohnehin genug Zeit kosten, da musste er nicht noch der Hemmschuh sein, weil er mit seiner Konfirmandenblase nicht einmal eine Stunde im Auto durchhielt. Leon kannte die derben Sprüche, die auf der Baustelle gang und gäbe waren; das war kein Vergleich mit dem Jargon zwischen ihm und seinen Kumpels. Den Ruf, ein kleines Mädchen zu sein, wollte er sich auf keinen Fall einhandeln. Und auch wenn Niklas, der Fahrer, ein ganz entspannter Kerl war, so waren Heinz und Frank, zwischen denen er mächtig eingequetscht wurde, ein gänzlich anderes Kaliber. So lange es um den Job ging, waren sie gefällig und halfen ihm, doch ihr Mundwerk war herablassend und grob verletzend. Leon wusste allerdings, dass es keinen Sinn hatte, sich darüber zu beklagen. Ab und zu rief der Inhaber der Firma sie zur Ordnung, doch so lange alle ihre Arbeit anständig machten, durfte es ruhig rau zugehen. ‚Lehrjahre sind keine Herrenjahre‘ war noch einer der netteren Texte, die er sich regelmäßig anhören musste.

 

„Das nervt ja total“, tönte Frank neben ihm, „und die Sch… müssen wir uns nun jeden Tag geben.“ Leon stimmte ihm insgeheim zu, hielt aber wohlweislich den Mund. Er befürchtete bereits jetzt, dass man seiner Stimme anmerken würde, wie verkrampft er hier saß. Seine Fäuste ballten sich in den Jackentaschen des dünnen Anoraks, den er über der Arbeitskluft trug. Als Heinz, der sich im Laufe der Jahre eine ganz manierliche Wampe angefressen hatte, sich vorbeugte, um nach einer Wasserflasche im Fußraum zu angeln, stieß er Leon aus Versehen den Ellbogen in die Rippen. Seine massige Gestalt presste sich gegen ihn und eine neuerliche Welle des Müssens rauschte durch den jungen Mann hindurch. Er spürte, wie er eine Gänsehaut bekam. Schnell spannte er seine Muskeln an, versuchte gegenzuhalten, als der Platz enger wurde. Als sein Kollege fündig geworden war, lehnte er sich wieder zurück und schraubte mit einem zufriedenen Grinsen die Plastikflasche auf.

„N’ Bier wäre mir natürlich lieber“, grinste er und erhielt prompt Zustimmung von Frank und dem fünften Kollegen, Mark, der vorn auf dem Beifahrersitz thronte. Niklas enthielt sich der Stimme, da er bekannt dafür war, wenig von Alkohol zu halten, wurde sein Schweigen nicht kommentiert. Neidvoll stellte Leon regelmäßig fest, dass Niklas dennoch genug Eier in der Hose hatte, den großmäuligen Männern entgegenzutreten. Er als Lehrling konnte davon nur träumen.

 

Nervös fummelte er in seinen Taschen herum, schob den Stoff immer wieder über seinen Schritt, in dem es unangenehm zog. Seine Finger zerknüllten einige gebrauchte Papiertaschentücher, die bereits ewig in der Jacke steckten. Ihm wurde zunehmend wärmer und dies lag nur bedingt an der stickigen Luft im Wagen. Mit einem unwohlen Gefühl stellte er fest, wie sich auch in seinen Achselhöhlen der Schweiß sammelte und sich in den Baumwollstoff des weißen T-Shirts sog. Seine Blase füllte sich stetig weiter, inzwischen schien sich nicht nur der Frühstückskaffee, sondern auch jedes Bier des vergangenen Abends darin zu tummeln. Dies war natürlich Unsinn, doch ausgerechnet jetzt musste Leon darüber nachdenken, wie viel er am Vorabend getrunken hatte.

Als Heinz das Mineralwasser ansetzte und geräuschvoll gluckernd einen großen Schluck nahm, hätte Leon am Liebsten aufgestöhnt. Offensichtlich hatte der das Problem nicht, sonst würde er mitten im Stau nicht so beherzt das Getränk in sich hineinkippen. Leon fragte sich, ob die anderen nicht vielleicht auch mal mussten und er möglicherweise Glück hätte, doch diese Hoffnung schien bisher zumindest nicht begründet.

 

Der Verkehr stand nun komplett still. Niklas ließ die Fensterscheibe hinunter, so dass gottlob ein wenig frischer Sauerstoff ins Innere des Fahrzeugs strömte.

„Gib mir mal die Flasche“, forderte er nach hinten und schob seine Hand zwischen die Kopfstützen. Nachdem auch er etwas getrunken hatte, drehte er sich freundlich zu Leon um.

„Du auch?“ Er hielt ihm das Wasser hin. Leon hatte Mühe, nicht das Gesicht zu verziehen, als er höflich ablehnte. Eine weitere Woge des fiesen Pinkeldrangs rauschte über ihn hinweg, sorgte für ein schmerzhaftes Stechen in seinem Unterleib. Mit aller Kraft verkniff Leon sich, mit der Hand nachzuhelfen. Er konzentrierte sich auf seinen Schließmuskel und darauf, dass es doch bitte schnell wieder abebben möge. Als er aufsah, war er sich nicht sicher, ob Niklas etwas bemerkt hatte. Dieser nickte mit dem Kopf, drehte sich wieder nach vorn und beobachtete die ersten Autotüren, die geöffnet wurden, da die anderen Verkehrsteilnehmer offensichtlich ebenso wenig damit rechneten, dass es bald weiter gehen würde.

 

Leon spürte, wie sich seine Zähne in die Unterlippe bohrten. Dieser Schmerz war willkommen im Gegensatz zu der vollkommen überdehnten Blase, die seinen Bauch aufblähte. Die Hose seiner weißen Malerklamotten, eigentlich recht gemütlich, spannte unangenehm. Noch fester presste er seine Fäuste in die Jackentaschen, zerrte den dünnen, glänzenden Stoff über den Schritt und versuchte vorsichtig, die Finger um seinen Schw**z zu legen. Er hatte keinen Erfolg. Der Anorak gab dieses Manöver nicht her. Ein leises Keuchen entkam ihm, als er fühlte, wie sich einige Tropfen den Weg durch seine Harnröhre bahnten. Nicht mehr lange und erste Spritzer würden im Slip landen und ihn den ganzen Tag an sein Versagen erinnern. Ob das dann alle riechen könnten?

Panik wallte in ihm auf. Noch weniger als das Mädchen mit der Konfirmandenblase wollte er vor den anderen der Idiot sein, der sich im Firmenwagen eingep**st hatte. Leon spürte, wie seine Wangen warm wurden. Vermutlich lief er gerade rot an.

„Was’n los?“, fragte Frank interessiert, dem das Keuchen nicht entgangen war. Leon hätte am liebsten losgeheult, doch er riss sich notgedrungen zusammen.

„Nichts!“, antwortete er verbissen und starrte nach unten. Das Pulsieren in seinem gemarterten Unterleib nahm weiter zu. Erneut quälte ihn eine heiße Woge seiner Not, bevor sie wieder abebbte und ihm ein paar Sekunden zum Durchatmen gab.

 

Der Moment, in dem es in die Hose gehen würde, rückte bedrohlich näher. Aus dem Augenwinkel bemerkte Leon, wie vor ihnen ein Mann aus seinem nagelneuen SUV stieg und dann über die Leitplanke kletterte, um in aller Seelenruhe ins Gebüsch zu pinkeln. Noch nie hatte er gleichzeitig etwas so Faszinierendes und doch so Furchtbares gesehen – jede Faser seines Körpers sehnte sich danach, es dem Fremden gleichzutun. Allein der Anblick sorgte dafür, dass es Leon erheblich schlechter ging. Schnell schaute er wieder auf seine eigenen Knie, doch zu sehen, wie ein anderer seinen Penis auspackte und einfach losließ, hatte seinen Unterleib weiter in Aufruhr versetzt. Dieser wollte es dem anderen gleichtun, sein Schließmuskel hatte bald keine Kraft mehr, um all dem Kaffee noch etwas entgegenzusetzen. Erneut verkrampfte es sich in seinem Unterbauch, das Stechen wurde schmerzhafter.

Reflexartig beugte er sich nun doch nach vorn und schnaufte vor Anstrengung. Er stellte erschrocken fest, dass es langsam nicht mehr darum ging, sich nicht zu blamieren; inzwischen war es eine reine Frage der Schadensbegrenzung. Nie und nimmer würde er es bis zur Baustelle aushalten können, nicht mal mehr die nächsten fünf Minuten. Als es heiß durch seine Harnröhre schoss, zuckte er panisch zusammen. Ein kleiner Schwall Nässe ergoss sich in seinen Baumwollslip; intuitiv zog er die Hand aus der Jacke und griff fest in seinen Schritt. Es gelang ihm, die Flut noch einmal zu stoppen – ein weiteres Mal würde er es möglicherweise nicht schaffen.

 

Als Leon gerade den Mund öffnen wollte, um so wenig jämmerlich, wie es ihm noch gelingen mochte, darum zu bitten, dass Frank ihn rausließ, hörte er Niklas’ Stimme:

„Kurz hinter die Leitplanke, ist eigentlich ’ne ganz gute Idee. Wer weiß, wie lange wir hier noch feststecken. Ich geh jetzt auch p**sen – noch jemand, der muss?“ Bei seiner Frage deutete Niklas mit dem Kopf Richtung SUV, in den der fremde Mann soeben wieder einstieg. Gleichzeitig öffnete er seine Tür und schob die Beine ins Freie.

Leon hätte schlagartig vor Freude weinen können. Abgelenkt von dem Vorschlag des Kollegen gab es auch keine dummen Kommentare zu seiner verräterischen Geste in den Schritt. Und zu seinem immensen Glück musste er nicht einmal mehr bitten, ob ihn einer der beiden anderen herauslassen würde, denn sowohl Frank als auch Heinz stiegen bereits aus.

Während diese gemeinsam die Leitplanke ansteuerten, um dahinter einen passenden Busch zu finden, stürzte Leon kopflos zu einem etwas entfernteren Stück der stählernen Begrenzung. Er würde es auf keinen Fall schaffen, in seiner Eile noch hinüber zu klettern. Im Rennen riss er verzweifelt den Reißverschluss seiner Arbeitshose hinunter, griff in die feucht gewordene Unterhose und zog seinen Penis heraus, während es bereits zu laufen begann. Mit letzter Kraft zielte er über die Planke hinweg auf das Gras und das hohe Unkraut dahinter. Hart schoss der Strahl aus ihm hinaus. Von einem erlösten Stöhnen begleitet, pinkelte Leon gefühlte Minuten, bevor der unerträgliche Drang in seinem Inneren endlich nachließ und er spürte, wie es ihm besser ging. Seine verkrampften Muskeln erholten sich ein wenig; Tränen der Erleichterung standen in seinen Augen. Noch nie in seinem Leben hatte Leon dermaßen dringend gemusst, da war er sich sicher. Und er schwor sich, es niemals wieder so weit kommen zu lassen. In den Wagen der Firma zu pinkeln hätte das Ende seiner Ausbildung bedeutet – den Männern hätte er wohl nie wieder unter die Augen treten können.

 

Er schaute zur Seite. Während er sein bestes Stück rasch wieder verstaute, bemerkte er sowohl die missbilligenden Blicke eines älteren Herrn aus dem Auto hinter ihm, als auch Niklas’ Lächeln, das ihn empfing, als er zum Fahrzeug zurückkehrte. Dieser lehnte an der Fahrertür und zündete sich eine Zigarette an; im Wagen hatte der Chef das Rauchen verboten.

Leon lächelte ebenfalls, als sich daran machte, erneut neben Heinz Platz zu nehmen, der inzwischen wieder eingestiegen und zur Mitte der Sitzbank vorgerückt war. Immerhin brauchte Leon, da Frank es sich auf der anderen Seite bequem gemacht hatte, nun nicht mehr eingequetscht zwischen den Kollegen zu sitzen.

Eine enorme Leichtigkeit hatte sich in ihm ausgebreitet – dem feuchten Slip und aller Müdigkeit zum Trotz fühlte es sich an, als könnte es noch ein absolut perfekter Tag werden.

Als sich Niklas wieder auf den Fahrersitz schwang, hörte Leon ein leises ‚Gern geschehen‘ aus dessen Mund und kurz war es ihm peinlich. Er hatte es also doch bemerkt. In diesem Fall nahm er sich vor, seinem Kollegen bei nächster Gelegenheit zu danken, dass er ihm so hilfreich den Arsch gerettet hatte. Vielleicht sollte er ihn mal mit zum Fußball nehmen und ihm dort eine Bratwurst ausgeben? Immerhin befand sich sein Verein das erste Mal seit Jahren auf dem aufsteigenden Ast.

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