Nass und beschämt – Verzweifelt unter Kolleginnen (Kurzgeschichte)

Nass und beschämt
Verzweifelt unter Kolleginnen

Von Rebecca Valentin

Kurzgeschichte, erschienen am 02.05.2024

VG Wort

Blonde Frau pinkelt sich in die Hose.

 

Sie tuschelten hinter vorgehaltener Hand und zwischendrin hörte ich, wie sie einander zuflüsterten, was langsam, aber sicher offensichtlich wurde: Ich musste irrsinnig dringend zum Klo!

 

Schon seit wir mit der gesamten Abteilung der Firma im Bus losgefahren waren, hatte mir die Blase gedrückt. Das Ziel war ein neu erschaffenes Industriedenkmal, das an diesem Tag besichtigt werden sollte. Natürlich war es interessant und die Faszination, die solch eine stillgelegte Anlage ausstrahlte, lag klar auf der Hand, doch bereits auf der Hinfahrt hatte ich hierfür keinen Gedanken mehr übrig gehabt. Mit jedem der vielen zurückgelegten Kilometer war der Druck zu einer schier unerträglichen Qual angestiegen und hatte nur noch eine einzige Frage zugelassen: Wo ist die nächste WC?

 

Als die Neue im Team war ich fatalerweise zu schüchtern gewesen, noch kurz vor der Abfahrt zur Toilette zu gehen. Ich hatte verhindern wollen, dass die anderen auf mich warten müssten, mit dem Ergebnis, dass mein Unterleib nun heftig protestierte und energisch forderte, den angesammelten Urin hinauslassen zu dürfen. Wann sind wir nur endlich da, hatte ich mich durchgehend gefragt und inständig gehofft, dass es bald sein möge – um Himmels willen, bevor mir am Schluss die Hose nass werden würde …

 

Nach einer gefühlten Ewigkeit auf einer nicht enden wollenden Autobahnstrecke war der Bus schließlich auf einen großen Parkplatz gerollt und der Motor vom Fahrer abgestellt worden.

Mit der trügerischen Freude, das Gefährt zwar verlassen zu können, aber dennoch zu ahnen, wie fern das erlösende Wasserlassen noch lag, betrat ich mit den übrigen Frauen den asphaltierten Boden außerhalb des Reisebusses. Oh, wie irre nötig ich musste – kaum war ich in der Lage stillzustehen und nur zu gern hätte ich eine Hand zu Hilfe genommen, um mich zur Entlastung zuzuhalten. Ich trat von einem Fuß auf den anderen und war von der Mühsal des Einhaltens und der Angst, es nicht bis zum Ende schaffen zu können, knallrot im Gesicht. Dieses fiel einigen auf, doch die Verfärbung meiner Wangen schob ich der Wärme des Vormittags zu, was die Kolleginnen mir zum Glück abnahmen.

 

Während wir mit der Besichtigung des großräumigen Monuments begannen, schaute ich mich verzweifelt nach einem Besucherklo um. Bedauerlicherweise hatte ich für den Rest der Kulturstätte kaum Augen: Mein Ansinnen galt einzig dem Auffinden einer Toilette.

Leider gab es nichts als Stahl, Beton und Steine, wohin ich auch blickte. Nicht einmal der kleinste Wegweiser zu einem WC gelangte in mein Sichtfeld. Ein Umstand, der mir höchst merkwürdig erschien, zumal wir uns an einer Stätte aufhielten, die tagtäglich von vielen Menschen besucht wurde. Oder übersah ich das entscheidende Hinweisschild einfach nur? Dieses hätte mich angesichts der schrecklichen Bredouille, in der ich steckte, nicht verwundert. Ich war fahrig, hektisch und durchgehend bemüht, den Anschluss an meine Arbeitskolleginnen nicht zu verlieren.

 

Das Wetter hatte es gut mit uns gemeint; die Sonne schien und es war angenehm warm. Die meisten von uns trugen lediglich eine bequeme Hose und ein leichtes Oberteil – selbst die Abteilungsleiterin hatte sich ihres Blazers entledigt und das Kleidungsstück locker um ihre Schultern gelegt.

Wir befanden uns auf einer Teambuilding-Maßnahme des Unternehmens, in dem ich seit knapp einem Vierteljahr angestellt war. Unser Bereich bestand ausschließlich aus Frauen, was die Situation nur noch schlimmer für mich machte. Unter ihnen, die eher kühl und meist unpersönlich auftraten, hatte ich das Gefühl, besonders makellos und rundherum perfekt sein zu müssen. Eine Erwartungshaltung, die ich nur schwer erfüllen konnte und die speziell in diesem Moment ganz und gar nicht auf mich zutraf.

 

In einer Art Innenhof des Stahl- und Glasgebäudes begann meine Selbstbeherrschung bedrohlich zu wanken; der Zeitpunkt des Aufgebens stand geradewegs bevor, wie ich mit aufsteigender Panik spürte. Oh Gott, was für ein Alptraum! Bis hierhin war es mir gelungen, mir meine Misere nicht allzu konkret anmerken zu lassen, doch nun zwang mich die gewaltige Pinkelnot im wahrsten Sinne des Wortes in die Knie. Ich wand mich sichtlich und konnte nicht länger verbergen, was in meinem Unterbauch nur so brodelte und mich über die Maßen hinaus peinigte.

Der kaum mehr aushaltbare Blasendruck war mir unsagbar peinlich – ausgerechnet ich, die neu Hinzugekommene und Jüngste, die von allen kritisch beäugt wurde und sich noch redlich darum bemühte, sich ihren Platz zu erkämpfen, musste in ein solches Dilemma geraten.

 

Hochgradig verzweifelt hielt ich mich an einen rostig wirkenden Stahlträger fest. Mit beinahe verknoteten Beinen wusste ich weder ein noch aus – ich war beschämt und musste so schrecklich dringend pinkeln, wie nie zuvor in meinem Leben … Gleich würde ich mich unabwendbar einnässen, dessen war ich mir mit Tränen in den Augen sicher. Jene Gewissheit rötete mein Gesicht stärker, als es ohnehin bereits der Fall war. Das Brennen war deutlich zu fühlen; ich glühte schon, bevor es passiert war …

 

Mein abruptes Innehalten am Eisenpfeiler brachte unsere kleine Gruppe nicht nur zum Stoppen, sondern lenkte auch die Aufmerksamkeit der letzten Mitarbeiterin auf meinen furchtbar desperaten Zustand.

»Ach herrje, Sarah, was ist denn mit Ihnen los?«, sprach mich die Leiterin unserer Abteilung an. Zu den tränenfeuchten Augen und flammendroten Wangen wurden mir die Knie butterweich. Ich schaute verlegen zu Boden.

Nun, da meine Misere angesprochen worden und für jedermann in der Runde offenkundig war, traute ich mich, die freie Hand wie ersehnt zu Hilfe zu nehmen und sie mir fest zwischen die zusammengepressten Schenkel zu zwängen. Diese Geste reichte als Antwort aus; sie zeigte mein Problem überdeutlich. Die Kolleginnen standen um mich herum, tuschelten und und raunten einander zu, wie sie meine Situation wahrnahmen. Aus einer Richtung hörte ich ein ›Selbst Schuld‹, die Mehrheit der Damen bewies jedoch Empathie und bedauerte mich einfühlsam.

 

Das Zuhalten half ein wenig, verbesserte die schlimme Lage aber nicht annähernd. Nach wie vor war in meiner Blase der Teufel los und in exakt diesem Augenblick, der unpassender nicht hätte sein können, löste sich ein erster, kleiner Schwall. Heiß und kraftvoll schoss mir das Pipi geradewegs in den Slip hinein. Vor Entsetzen schrie ich unwillkürlich auf und versuchte nun endgültig, einen Knoten in meine Beine zu bekommen. Bestürzt glaubte ich, die warme Nässe an der Innenfläche der Hand zu spüren, war mir allerdings nicht vollkommen sicher.

 

Da ich in meinem Schreck und der immensen Konzentration darauf, um jeden Preis die Kontrolle behalten zu wollen, nicht gleich antwortete, sondern stattdessen spitz aufgeschrien hatte, hakte die Teamchefin Frau Seiler noch einmal nach:

»Warum sind Sie nicht schon längst wohin geflitzt? Hier gibt es doch sicher überall Toiletten?«

»Ich habe … keine … entdeckt …«, brachte ich vor Anstrengung stockend hervor, nach allen Kräften bemüht, so ein feuchtes Unglück kein zweites Mal geschehen zu lassen. Peinlich berührt blickte ich nach wie vor zu meinen Fußspitzen hinunter.

»Dann laufen Sie jetzt«, versuchte Frau Seiler weiterhin zu helfen. Sie wand sich ihren übrigen Mitarbeiterinnen zu:

»Weiß jemand von Ihnen, wo sich die Sanitärräume befinden? Hier muss es doch irgendwo welche geben.«

 

In exakt demselben Moment, in dem eine der Frauen schon auf mich zutrat, um mir schnell den Weg zum Klo zu zeigen, gab es für meinen überstrapazieren Blasenschließmuskel kein Halten mehr. Jeder gutgemeinte Ansatz, mir unterstützend zur Seite stehen zu wollen, war überflüssig geworden. So sehr ich auch sämtliche Fasern der Muskulatur meines Unterleibs anspannte und den Inhalt meiner prallvollen Blase zurückzudrängen versuchte, war es mir doch nicht möglich, das denkbar Schlimmste zu verhindern: Ich schrie erneut auf, weinte bitterlich und pinkelte mir vor den Augen der gesamten Belegschaft meines Arbeitsbereichs in die Hose.

 

Heiß und unaufhaltsam strömte die riesige Menge meines Urins zuerst in das bereits angefeuchtete Höschen und danach in den Schritt der hellblauen Jeans. Es lief schier endlos. Was ich im Inneren überdeutlich fühlte, war rasch auch außen, im oberen Teil der Hose, zu erblicken. Hierbei blieb es nicht lange, der nasse Bereich vergrößerte sich zusehends; fern jeder Kontrolle meinerseits rauschte die goldgelbe Flut an den Innenseiten meiner Oberschenkel entlang nach unten und von dort direkt in meine Schuhe hinein. Warum musste ausgerechnet mir das passieren? Und weshalb tat sich unter mir keine Erdspalte auf, um mich zu verschlingen und so der kolossalen Blamage zu entziehen?

Der Jeansstoff begann auffällig zu glänzen und das Zischen des Strahls sowie das stete Tröpfeln auf den Betonboden aus den Hosenabschlüssen heraus, waren aufgrund des betretenen Schweigens um mich herum geradezu hörbar.

 

Mittlerweile schauten auch andere Besucher des frisch eröffneten Industriedenkmals zu mir und meinem nass-prekären Unfall herüber. Und obwohl ich die neugierigen Blicke der Vorbeigehenden als unangemessen und nicht weniger unangenehm empfand, als das gesamte Fiasko selbst, störten sie mich nicht. Ich hatte genug damit zu tun, mir zu überlegen, zu welchem Datum ich meine Kündigung einreichen müsste. Mit dieser Schande würde ich kaum weiterhin in der Firma arbeiten können, wie ich an diesem Tiefpunkt meines Lebens glaubte.

Meine Emotionen brachen noch immer ungebremst aus mir hervor: Ich schluchzte, spürte die Verlegenheit und Scham mich beinahe auffressen und sah mich meiner Würde komplett beraubt.

Während ich in der pitschnassen Hose dastand und nicht mehr als ein mickriges Häufchen Elend war, fühlte ich unvermittelt eine Hand auf meiner Schulter. Sie gehörte zu der Kollegin, die sich so bereitwillig angeboten hatte, mir den Weg zu den Besucher-WCs zu zeigen. Die Wärme, die von diesem Trost ausging, tat unglaublich gut – so sehr, dass ich unwillkürlich zu lächeln begann. Dieses Lächeln breitete sich aus und ich spürte eine wohltuende Welle reinen Glücks mich durchfluten, nachdem sich weitere Hände auf mich legten und ich von einigen meiner Büro-Mitstreiterinnen sogar in die Arme genommen wurde.

 

»Das macht doch nichts«, sprachen sie mir Mut zu, »das kann doch jedem passieren.« Eine begann spontan, von ihrem eigenen, nassen Missgeschick zu erzählen, woraufhin eine Zweite einstieg und sich weitere Damen mit ihren Erlebnissen oder den von Freunden sowie Bekannten hinzugesellten. Nahezu jede kannte jemanden, dem schon einmal derartige Umstände widerfahren waren, sei es als dringende Not, feuchte Flecken oder durch und durch eingenässte Kleidung.

Die lang vermisste Freundlichkeit und Wärme meiner Kolleginnen berührte mich zutiefst. Hatte es erst ein schamvolles Einpinkeln gebraucht, um offiziell in den Kreis der Vertrieblerinnen unseres Unternehmens aufgenommen zu werden, überlegte ich, während meine gute Laune zurückkehrte und ich den Gedanken an eine Kündigung erleichtert verwarf. Wie auch immer man es deuten mochte, mir hatte die Teambuilding-Aktion der Firma auf jeden Fall etwas gebracht – zwar einen peinlich nassen, aber dennoch großen und nachhaltig schönen Erfolg der Annäherung.